Die schönsten Filme, die ich kenne (47): „Romanze in Moll“

Bekanntlich waren die Propagandafilme der Nazis nur selten solche, in denen die Botschaft so deutlich und unmissverständlich proklamiert wurde wie etwa im russischen Kino. Man hatte erkannt, dass subtile Botschaften, versteckt in scheinbar unpolitischen Kostümfilmen, Sing- oder Lustspielen, viel wirkungsvoller sein müssten, da der Betrachter die Propaganda nicht als solche erkennt.
Trotz dieses Generalverdachts fand sich in der Bundesrepublik viel Unterhaltungsware der Jahre 1933-45 im Kino und im Fernsehen wieder, bevölkert von anhaltenden (oder wiederkehrenden) Publikumslieblingen wie Heinz Rühmann, Hans Albers und Marika Rökk.
Ein Film aus diesem Repertoire galt der Nachwelt nicht nur als unbedenklich, er stieg in Kritikerkreisen sogar zu einem Juwel auf, zu einem exotischen Geheimtipp: die Literaturverfilmung „Romanze in Moll“ von Helmut Käutner. Die französische Filmkritik attestierte ihm, das einzige Produkt der NS-Filmwirtschaft von bleibendem Wert zu sein, im neutralen Schweden wurde er 1944 mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet.

Romanze in Moll_IntroLothar Brühnes Lied, das als fiktive Tondichtung dem Film seinen Titel gibt: „Romanze in Moll“.

Im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist die schöne Madeleine  mit einem biederen Angestellten verheiratet. Als sie den leichtlebigen Musiker Michael kennenlernt, überzeugt sie ihn, seine entstehende  Komposition nicht in Dur, sondern in Moll anzulegen: verzichtend, als eine Abschiedsmelodie. Nichtsdestotrotz verlieben sich die beiden. Für Madeleine beginnt ein Doppelleben, denn sie achtet ihren Mann und will ihn nicht verletzen. Ein liebestoller Nebenbuhler aus Michaels Umfeld nutzt die Situation zur Erpressung. Zuletzt sind vier Leben vernichtet.

„Romanze in Moll“ ist eine Tragödie, die das Schicksal ihrer Figuren bei allem reichlich vorhandenen Humor niemals ironisiert. Seinem rückwärts geschulten hohen Ton zum Trotz, der eher in die k. u. k. Monarchie verweist als in die Belle Époque, entfaltet der Film einen ganz eigenen poetischen Realismus. Man bekommt ein Gefühl dafür, was Schauspielkunst einmal bedeutet hat.  Diese aus heutiger Sicht allesamt altmodisch gezeichneten Charaktere könnten nicht wahrhaftiger sein: die meist knapp am Betrachter vorbei ins Leere starrende Marianne Hoppe als zweifelnde Ehebrecherin, Paul Dahlke als ihr puddingfeister, bis zuletzt argloser Gatte, der elegant-dämonische Salonlöwe Ferdinand Marian, der von seinen Gefühlen zur Strecke gebracht wird. Selbst die kleinsten Rollen sind idealbesetzt – etwa mit Elisabeth Flickenschildt als Concierge.
Hauptdarsteller Ferdinand Marian, ein Grazer tschechischer Herkunft, war dem Publikum jener Tage als Darsteller des als Vergewaltiger angelegten „Jud Süß“ präsent; dieser handwerklich tadellos gemachte antijüdische Hetzfilm wurde mit großem Eifer im In- und europäischen Ausland vertrieben. An der Schmach dieser Dienstleistung ist der Schauspieler Marian nach Ende des Krieges zerbrochen.

Die Meisterlichkeit von Käutners Film waltet auch in Bereichen, die man gern übersieht: in Ausstattung, Licht und Kameraarbeit. Und in der Musik. Wann immer ein Film die Arbeit eines fiktiven Künstlers schildert, gerät er in die Verlegenheit, dessen Werk ebenfalls erfinden zu müssen. „Romanze in Moll“ entledigt sich dieses Problems mit seltener Bravour. Das gleichnamige Musikstück stammt von Lothar Brühne (Komposition) und Werner Eisbrenner (Einrichtung als sinfonisches Werk), die nicht im Vorspann genannt werden. Im Gegensatz zu einer britischen Filmmusik der Kriegsjahre, die es in den Konzertsaal und auf viele Tonträger schaffte – das „Warschauer Konzert“ von Richard Addinsell – geriet diese Romanze außerhalb des Films rasch in Vergessenheit.

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