Der Science-Fiction-Film – Absicht, Botschaft und Wirkung

Fortsetzung vom 19. April 2024

Die New Yorker Kritikerin, Erzählern und Filmemacherin Susan Sontag (1933-2004) hat in ihrem Essay „Die Katastrophenfantasie“ („The Imagination Of Disaster“, Oktober 1965) das Science-Fiction-Genre vor allem in seiner filmischen Spielart untersucht – und offensichtlich nicht geschätzt (obwohl sie das nicht offen ausspricht). Dieser Auszug aus einer der sachlicheren Passagen ihres Textes, entstand einige Jahre bevor sich das „Disaster Movie“ für kurze Zeit zu einem lukrativen Massenphänomen mausern sollte und – selbstredend – lange vor dem Siegeszug der CGI:

In Science-Fiction-Filmen geht es nicht um Naturwissenschaft. Es geht in ihnen um die Katastrophe und damit um eines der ältesten Themen in der Kunst. Im Science-Fiction-Film wird die Katastrophe nicht intensiv, sondern stets extensiv erlebt. Hier geht es um Originalität und Einfallsreichtum. Das Ganze ist, wenn man so will, eine Frage des Maßstabs. Der Maßstab aber – und das gilt ganz besonders für die farbigen Breitwandfilme (unter denen die des japanischen Regisseurs Inoshiru Honda und des [österreichisch-ungarischen] Amerikaners George Pal die technisch überzeugendsten und visuell faszinierendsten sind) – hebt die Angelegenheit auf eine neue Ebene.
So geht es im Science-Fiction-Film (ebenso wie in einer ganz anderen zeitgenössischen Gattung: im Happening) um die Ästhetik der Destruktion, um die seltsame Schönheit der rächenden Verwüstung, der Schaffung eines Chaos. Und die Bilder der Zerstörung sind es denn auch, die den Kern des Science-Fiction-Films ausmachen. Daraus ergibt sich der Nachteil des billigen Films, in dem das Ungeheuer oder die Rakete in einer kleinen, langweilig aussehenden Stadt auftaucht bzw. landet. (Finanzielle Sorgen der Verantwortlichen in Hollywood schreiben gewöhnlich vor, dass die Stadt irgendwo in der Wüste von Arizona oder Kalifornien liegt. In „The Thing From Another World“ [„Das Ding aus einer anderen Welt“]* soll die ziemlich dürftige und begrenzte Szenerie ein Lager in der Nähe des Nordpols darstellen. (…) [Dabei ist eine opulente Ausstattung in Destruktions-Orgien wichtig!] Griffith war mit der Babylon-Sequenz in „Intolerance“ [„Intoleranz“] der erste, und bis auf den heutigen Tag kommt nichts dem Kitzel gleich, den man spürt, wenn all die teuren Kulissen zu Bruch gehen.

(…) Science-Fiction-Filme sind ausgeprägt moralisch. Die Standardbotschaft, die sie verkünden, ist die Botschaft vom rechten oder humanen Gebrauch der Wissenschaft im Gegensatz zu ihrem Missbrauch durch Irrsinnige und Besessene. Diese Botschaft haben die Science-Fiction-Filme gemeinsam mit den klassischen Horrorfilmen der 30er Jahre (…). [Dort] begegnet uns der (…) irregeleitete Wissenschaftler, der seine Experimente gegen den guten Rat anderer weiterverfolgt, ein oder mehrere Ungeheuer schafft und ihnen selber zum Opfer fällt; häufig erkennt er seine Torheit und stirbt bei dem erfolgreichen Versuch, sein eigenes Geschöpf zu vernichten. Eines der Äquivalente im Science-Fiction-Film ist der – gewöhnlich einem Team angehörende – Wissenschaftler, der zu planetarischen Eindringlingen überläuft, weil „ihre“ Naturwissenschaft weiter entwickelt ist als „unsere“.
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* In Frankreich trägt dieser Film den herrlichen Titel „La Chose“.

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