Fast so schwer wie Trompete spielen …

… eine intelligente Diskussion über kulturelle Aneignung

Neulich hörte ich in einer TV-Diskussion eine erregte junge Dame sagen, es sei nicht hinnehmbar, dass Menschen weißer Hautfarbe Jazz spielten, denn Jazz sei eine Musik, die den Angehörigen einer anderen Ethnie gehöre. Die Teilnehmerin verkannte nicht nur die völkerverständigende Wirkung dieser Musik im 20. Jahrhundert, sie übersah auch, dass Jazz eben keine rein schwarze Musik ist, sondern – im Gegenteil – eine, die aus dem Zusammentreffen der afrikanischen mit der westlichen Kultur entstanden ist. Dies (so wie die in der Tat tragischen Umstände, unter denen das geschah) lässt sich historischen Quellen entnehmen; was niemanden davon abhalten sollte, einfach mal Jazz zu hören. Oder zu spielen – egal welche Hautfarbe er hat.
Der Vorwurf der „kulturellen Aneignung“, der hier wieder einmal im Raum stand, wird selten auf kompetentere Weise geführt als in diesem Beispiel. Er ist nur einer von vielen, die zum Gegenstand schriller, unbeholfener und unreif geführter Diskurse geworden sind, nachdem die sozialen Medien die Pforten zu einer breiten, öffentlichen „Streitkultur“ weit aufgestoßen haben.*
In seiner Sendereihe über die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts stieß Kai Luehrs-Kaiser im rbb immer wieder auf Parallelen zur Gegenwart (2023), was ausdrücklich nicht das Thema der Reihe war.* Im „Problem einer gewissen Eingemeindung oder auch Aneignung kultureller Güter auf dem Wege der Kunst“ erkannte er einmal mehr „ein altes Problem – weit älter als der Ausdruck ‚Kolonialismus‘ es heute will. Als kolonial wird heutzutage der hermeneutische Versuch, in die Welt zu blicken, gern vereinfacht oder pauschal denunziert. Das Verstehen eines Gegenübers, um es hier mal ganz hochmögend zu sagen, ist nämlich nicht so einfach wie der böse Begriff Kolonialismus es suggeriert. Man kann das Andere, das Fremde, nicht in den Blick nehmen, ohne selbst der zu bleiben, der diesen Blick wirft. Deswegen muss es unvermeidlicherweise einen eigenen Blick auf das Fremde geben dürfen, ohne dass dieser sogleich als kolonialistisch angeprangert wird. Warum ist das so? Ganz einfach: Weil es anders schlicht und ergreifend gar nicht geht. Wir blicken als wir selbst auf anderes. Der Rest ist Bemühung, und, wenn’s hochkommt: gute Absicht.“
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* Die Reihe ist noch immer vollständig nachzuhören unter https://www.rbb-online.de/rbbkultur/radio/programm/schema/sendungen/die_20er_jahre/calendar.html

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Eine Antwort zu Fast so schwer wie Trompete spielen …

  1. Christian Görgen sagt:

    Da muss ich schütten:
    Danke an Sie für den Tip.
    Preis an das Radio, an Luehrs-Kaiser, an mobile Geräte, die speichern und über Kopfhörer ausgeben. Die Serie ist sehr umfangreich und die Folgen bis zu zwei Stunden lang.
    Warnen vor Kunst-zurück-Geber)(innen. Erst ist es die falsche Tonart, dann der falsche Musiker, der mit der falschen Hautfarbe und sofort folgt der Hinweis, dass es im Schwarzen ja auch unterschiedliche Schattierungen wahr zu nehmen gebe. Musik wird nicht zur Reproduktion durch eine bestimmte Ethnie komponiert.

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