Die spinnen alle, die da oben

betr.: das Zeitstück in der Yasmina Reza-Epoche / Handynutzung als Sujet in Film und Theater

Vor einigen Tagen sah ich ein Dreipersonenstück, das mir das Elend unserer aktuellen Theaterkultur im Allgemeinen vor Augen führte. Zunächst einmal war es mir als Komödie angekündigt worden, und es war nichts dergleichen. Es lachte auch niemand. Na gut: als die beiden männlichen Charaktere ein paar frauenfeindliche Witze rissen, rumpelte der eine oder andere freundliche Lachhusten durchs Publikum – dankbar, die wackeren Darsteller einmal bei ihrer Aufgabe unterstützen zu können, solches Material abliefern zu müssen, als nette Geste, „als Existenzminimum, ohne das sie verkümmern müssten“*.
Wie gesagt: die nun folgende Kritik trifft auf eine Vielzahl von Stücken und Kabarettprogrammen zu, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, auch auf einige Filme. (Es handelte sich hier übrigens um die Adaption eines erfolgreichen Films.)
Die Figuren sind unappetitliche Karrieristen, die unentwegt ihr Smartphone an der Backe haben.
Liebe Autoren, Regisseure und Intendanten: eure ewige überaus wohlfeile Smartphone-Basherei geht mir auf die Nerven! Ihr habt ja recht: es ist ein Kreuz mit unserer Mediengesellschaft. Aber ihr bessert die Situation nicht! Niemand wird nach der Betrachtung eurer Arbeit in sich gehen und die Kiste häufiger beiseitelegen. Auch ihr selbst – die Darsteller, der Beleuchter, die Kartenabreißerin … – werdet das ganz gewiss nicht tun. Spätestens jetzt, in der fünften oder achten Theatersaison der großen Anti-Handy-Polemik – ist es mal genug damit. Außerdem tut ihr gerne so, als wären übertriebene Smartphone-Nutzer zwangsläufig ruchlose Yuppies, die jegliche soziale Kompetenz hinter sich gelassen haben. Stimmt leider nicht! Die meisten Menschen im Stadtbild – auch die netten, normalen – übertreiben es damit.
Das ist aber nicht das einzige Problem mit dieser Art von Theater.

Die besagten drei Helden entwickeln sich natürlich nicht (- das tun die in solchen Stücken grundsätzlich nicht!). Sie sind vom allerersten Satz an einfach nur abstoßend und primitiv. Bis zuletzt ist nicht mal eine ironische Brechung drin, eine überraschende Wendung,  irgendetwas, was man als Idee oder gar als Pointe bezeichnen könnte. Es muss reichen, dass „uns allen“ „der Spiegel vorgehalten wird“. Stimmt schon wieder nicht! Jeder Handynutzer, der sich insgeheim angesprochen fühlen könnte, kann sich sofort damit aus der Affäre ziehen, kein sexistischer, karrieregeiler Yuppie zu sein (siehe oben).

Der Sinn und Nutzen solcher „Zeitstücke“ lässt sich stets an den hängenden Ohren der aufbrechenden Zuseher ablesen. Wenn diese überhaupt vom Stück reden und nicht davon, wo sie wohl ihren Wagen geparkt haben, dann fallen ratlose Sätze wie: „Naja, so isses halt. Die haben das schon ganz gut beobachtet!“
Na besten Dank! Schade um den Abend, den ich mit dem Reclam-Heftchen eines relevanten Stoffes zu Hause genussvoller hätte verbringen können.

Sie begann vielleicht nicht mit ihr, aber ich glaube, die Misere nahm mit Yasmina Reza – deren große Erfolge hochverdient sind und der für das Finden eines zunächst frischen Konzeptes Respekt gebührt – die heutige Fahrt auf. Aber das Prinzip von „Gott des Gemetzels“ – zwei Paare streiten sich in der Wohnung eines der beiden Paare, und alle vier sind abscheuerregende Vollpfosten – ist auf Dauer nicht abendfüllend. Ich hätte gerne hin und wieder die Möglichkeit, mich mit der einen oder anderen Figur klammheimlich zu solidarisieren. Wenn mein Sitznachbar mir nach der Vorstellung gesteht, er habe einen anderen Favoriten gehabt: umso besser.

Ich erinnere mich noch, wie überrascht ich war, als ich nach meinem ersten „Gott des Gemetzels“ las, dies sei eine Komödie. Okay, dachte ich. Das kindische Getue erwachsener Menschen, die burlesken Effekte (wie das in der Blumenvase versenkte Handy als größte anzunehmende Katastrophe) ist wohl in unserer digitalen Epoche alles, das wir an Slapstick erwarten dürfen.

________________________
* Ich liebe diese Formulierung von William K. Everson.

Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft, Internet, Kabarett und Comedy, Medienphilosophie, Theater abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Die spinnen alle, die da oben

  1. Pingback: Die Sehnsucht nach der Sehnsucht - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

  2. Pingback: Süßes Schlangengift - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert