Nahkampf der Neo-Spießer

betr.: gestrige Aufführung von Ralf Königs Comic „Porn Story“ im BKA Berlin

In „Porn Story“ geht es nicht um Sex, sondern um den Umgang damit. Und um die moralische Aufladung seines Ausbleibens nach vielen Ehejahren, besser: um seine Verlagerung vom Ehebett auf die verstohlene Videovorführung. Der Titel verweist auf die Rezeption von Sexfilmchen in unserem Lande seit der Super-8-Zeit über die VHS- und DVD-Ära bis in die Gegenwart der Online-Pornographie. Als Rowohlt-Buch verzichtet dieser Comic auf die bei Ralf König obligatorische Darstellung von schwulem Sex, und auch der Hetero-Sex findet nur in den besagten heimlich konsumierten Filmen statt. Um deren Absurdität optimal herauszustellen, sind die Dialoge und Filmtitel Originalzitate und ihre zeichnerische Umsetzung von Ralfs berühmtem Kollegen Nicolas Mahler („Alte Meister“) beigesteuert worden.

„Porn Story“ mehr als drei Jahre nach der Lektüre noch einmal live wiederzuerleben, diesmal als Lesung mit Dias, rückte die Geschichte um einen Porno-Nutzer und ansonsten braven Ehemann aus dem Werk seines Autors und Zeichners heraus und in sein multimediales Programmumfeld hinein. Warum, so fragte ich mich, ist es in einer (Medien-)Gesellschaft, in der Sexfilme auch für Kinder jederzeit zugänglich sind, in der sexuelle Attraktivität eine ganz unverhohlene Wichtigkeit in unterschiedlichen Lebensbereichen einnimmt (während man früher dabei wenigstens ein schlechtes Gewissen hatte) und in der wir mit ebendieser Entwicklung oftmals reichlich überfordert sind, warum also gibt es in dieser Lage nirgendwo sonst eine Geschichte zu erleben, in der ebendies so flockig auf den Punkt gebracht wird: mit Dialogen, die keine Fragen offen und kein Auge trocken lassen und mit entgleisenden Gesichtern wie im wirklichen Leben? Warum verfilmt in einer Hochphase des Erzählfernsehens niemand diese köstlichen Parabeln, die uns Ralf König in solider Folge regelmäßig schenkt oder lässt ihn wenigstens mal ein Drehbuch schreiben?
Ach, ich weiß sie ja, die – wenn auch unbefriedigende – Antwort.

Die bisherigen Film- und TV-Projekte auf der Grundlage seiner Comics waren – auch im Erfolgsfalle – Albträume für diesen Autor, der sich bei allem, was er tut, bereits etwas gedacht hat. Filmproduzenten und –Regisseure möchten aber niemals nur etwas Vorhandenes transportieren, sie wollen sich hinterher stets auch selbst etwas gedacht haben. Die Regisseure wollen das auch dann, wenn sie eben keine Autorenfilmer sind, sondern im Grunde glücklich über eine gute Vorlage sein müssten, die nur noch umgesetzt zu werden braucht. Umso glücklicher, wenn diese als Comic sogar schon sehr filmisch gedacht ist.
Selbst die Boulevardbühnen sind heute wild entschlossen, Sex und seine Nebenwirkungen offenherzig abzubilden. Die jüngsten Ergebnisse sind noch spießiger als das frivole Gejöckel der „Klimbim“-Ära. Auch hier würde eine getreuliche Umsetzung von „Porn Story“ eine Frische verbreiten wie die hereinbrechende Flut, eine Erlösung für die Theaterleute und eine noch größere für das höflich hüstelnde Publikum bedeuten.
Müsste, sollte, könnte … doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Und so bleibt eine brillante Gesellschaftssatire auf der Höhe der Zeit nur den Comiclesern vorbehalten (einer hierzulande mikroskopisch kleinen Gruppe) und den Besuchern einer vollbesetzten, jubilierenden Präsentation wie der gestrigen (einer noch kleineren Gruppe).
Wir haben es einfach nicht besser verdient.

Dieser Beitrag wurde unter Comic, Gesellschaft, Kabarett und Comedy, Medienphilosophie, Ralf König, Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Nahkampf der Neo-Spießer

  1. Kai S. Pieck sagt:

    Lieber Monty,
    gerade vorgestern nach Ralfs Lesung habe ich mit ihm über unser Serien-Projekt gesprochen. Seit über 25(!) Jahren versuche ich mit ihm etwas zu verfilmen. Schwierig. Aber die Zeit ist reif und mit unserem neuen Projekt klappt es vielleicht.
    Aber nun zu meinem eigentlichen Anliegen: Ich habe letztes Jahr die QUEER MEDIA SOCIETY initiiert, ein Netzwerk nicht-hetero*sexueller Medienschaffender. Mehr Infos findest Du auf unserer Website, die ich oben angegeben habe.
    Ich würde Dich gerne einladen, Teil davon zu sein.
    Wie Du das geht, würde ich Dir Eier Mail-Info schicken, wenn Du mir eine Adresse dazu gibst!
    Herzlich, Kai

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert