Die schönsten Filme, die ich kenne (91): „Mid90s“

Los Angeles in den 90er Jahren: Der 13-jährige Stevie (Sunny Suljic) wächst in ärmlichen Verhältnissen bei seiner alleinerziehenden Mutter Dabney (Katherine Waterston) auf, mit der er die altersüblichen Meinungsverschiedenheiten hat. Schwerer wiegt, dass er von seinem Bruder – einem 18jährigen perspektivlosen Kraftprotz – regelmäßig aus nichtigem Anlass verprügelt wird. Dennoch bewundert er ihn, seine (vermeintliche) Coolness und seinen Musikgeschmack, denn andere männliche Bezugspersonen sind nicht in Sichtweite. Doch das ändert sich. Der etwas ältere Ruben ist der Kleinste in seiner Clique und freut sich, in Stevie jemanden gefunden zu haben, auf den er ein wenig herabsehen kann. Auf diese Weise kommt Stevie mit einer Gang zusammen, die sich im lokalen Skateshop trifft, und bei der er sich erstmals akzeptiert fühlt. Die Jungs ziehen den Kurzen gehörig auf, nehmen ihn aber auch mit zum Skaten, wo er sich mächtig ins Zeug legt und seine sportlichen Möglichkeiten rasch entwickelt. Etwas schwieriger ist es mit dem anderen Jungs-Zeug, das nun in seinem Leben Einzug hält: verbotene Partys, Mädchen-Bekanntschaften, Alkohol und Ärger mit der Polizei. Als Mutter Dabney dahinterkommt, ist sie außer sich. Doch obwohl ihr der neue Umgang ihres Jüngsten nicht geheuer ist, ahnt sie, dass es Stevie mit dieser Freundschaft ernst meint. Dann baut die Clique einen schweren Autounfall, bei dem Stevie das meiste abkriegt …

„Mid90s“ ist ein Debütfilm, der als Drama wie auch als Komödie annonciert wird (beides ist richtig). Und er ist so makellos, dass ich nur hoffen kann, sein Regisseur Jonah Hill möge es mit seiner Weiterentwicklung langsamer angehen lassen als der kleine Stevie. In den zumeist positiven Kritiken wurde vor allem auf die oberflächlichen nostalgischen Aspekte des Films abgehoben: auf die Musik, die man hier endlich wieder hört (als ob das im Formatradio nicht Tag und Nacht möglich wäre), auf die Klamotten (als handele es sich um einen aufwändigen Kostümfilm), auf das Hantieren mit Compact-Cassetten (die im Rückblick wirklich sympathischer sind als der heutige digitale Overkill). Seine wahren Qualitäten liegen in dem, was eben nichts mit diesem Zeitkolorit zu tun hat: „Mid90ies“ ist eine Schule der Herzen.
Vom ersten Augenblick an spürt man, dass dieser Film keine Zeit vergeudet – und das nicht nur, weil er mit einem hohen Tempo einsteigt. Die große menschliche Mission „werde, der du bist“ wird in Situationen aufgelöst, die nicht jeder von uns auf die gleiche Weise erlebt haben mag, und die gerade deshalb so gültig und bezwingend sind. Die jungen Darsteller agieren so natürlich, als wären sie heimlich gefilmt worden. So aufrichtig, drastisch und dennoch beglückend wurde selten über den schwierigsten Teil jenes Lebensabschnitts erzählt, den wir immer erst dann für den schönsten halten, wenn er möglichst lange zurückliegt. Entsprechend unzufrieden war der 15jährige Schülerpraktikant aus dem schnuckeligen Hamburg, der den Film für eine TV-Zeitschrift auf der Berlinale rezensieren durfte. Er monierte „zu viele Kraftausdrücke“ sowie ein „überzogenes“ und „nicht nachvollziehbares Verhalten“ der etwa gleichaltrigen Helden.

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