Das Ende der heiteren Chinoiserie

betr.: der Artikel „Schaut auf dieses Land“ in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 6./7. Juli 2019

In ihrem Artikel bringt Lea Deuber die Unterschiede zwischen unserem und dem asiatischen Lebensstil und –gefühl auf den Punkt. Sie stellt die Modernität und Effizienz Chinas unserer verwöhnten Bräsigkeit gegenüber, mit der wir im Begriff sind, unsere globale Perspektive, unseren Wohlstand zu verspielen.
Bestandsaufnahmen dieser Art sind zahlreich in den Feuilletons und Leitartikeln unserer Tage. Diese hier ist besonders trefflich, ausgewogen und amüsant zu lesen.

Und doch: gerade weil das Gesagte so unbestreitbar ist, befällt mich bei seiner (Wieder-)Lektüre eine Irritation, die ich schon verspürt habe, als der selige Helmut Schmidt noch ziemlich allein war mit seinem Lobgesang auf China und seine immensen Möglichkeiten.
Wir Deutschen könnten wahrhaftig etwas dankbarer sein – doch würde uns das helfen, unser Modell zu verteidigen? Wir könnten beim Bau von Flughäfen effizienter sein – oder besser noch: das Geld für sinnvollere Dinge ausgeben als für diese Luxus-Ruine, Berlinerisches Weltstadt-Getue und das Schmiergeld für die Verantwortlichen. Aber haben wir nicht andererseits recht mit der Idee, dass acht neue chinesische Flughäfen pro Jahr keine gute Idee sein könnten, wenn man sich den Gesundheitszustand unseres Planeten anschaut.
Wie beurteilen wir die Leistungsfähigkeit Chinas angesichts der Tatsache, dass sie auf einer perfiden Kombination aus Diktatur („Kommunismus“ genannt) und quasidemokratischem Chi-Chi beruht, die es den Bessergestellten gestattet, Europa als „fotogenes Freilichtmuseum“ zu betrachten und zu bereisen? (Das hätte ich den von mir insgesamt wirklich geschätzten Helmut Schmidt auch gerne gefragt.)

Dass wir (bzw. unsere Vorfahren) in Europa es auf dem Weg zu all den von Lea Deuber eingangs geschilderten Vorzügen nicht nötig hatten, als „luftverschmutzter, Technologien klauender Überwachungsstaat“ zu operieren, ist das eigentliche Glück, das unsere Dankbarkeit verdient hätte. Dass wir zwar nicht den Krieg aber den Frieden gewonnen haben, ist sogar ein ziemlich unverschämtes.
Es geht dem Ende entgegen – wie das mit Glück nun mal so ist.
Mit einer Kommunikationstechnologie, die es uns noch schneller gestattet, unser Essen zu fotografieren, Katzenvideos zu teilen und einander am Telefon zu erzählen, wo wir gerade sind, werden es wir dieses Glück weder verlängern noch das Bewusstsein dafür schärfen.

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