Die Männerwirtschaft aus der Baker Street

betr.: gestriger 59. Jahrestag der Erstausstrahlung von „The Disappearance Of Lady Frances Carfax“ aus der Serie „Sherlock Holmes“ (GB 1965-68)

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre reihte sich Peter Cushing in die schon damals beträchtliche Riege der Sherlock-Holmes-Darsteller ein. Cushing war ein fähiger Schauspieler, den die Heutigen vermutlich allein wegen seines Auftritts im ersten Beitrag zur „Star Wars“-Saga vor Augen haben und dessen wichtigster Job es gewesen ist, zum Ensemble der Hammer-Horrorfilme gehört zu haben, wo er sowohl verrückte Wissenschaftler als auch respektable Gelehrte spielte. Cushing verkörpert das Bild, das wir uns im Laufe der Zeit von Sherlock Holmes gemacht haben (ohne dass das so in den Büchern gestanden haben muss), in idealtypischer Weise: hager, auf uncharmante Weise einnehmend, nicht mehr ganz jung.
Immer wieder weichen die Holmes-Performer in einzelnen Punkten von diesen Vorgaben ab, ohne sie insgesamt in Frage zu stellen (Benedict Cumberbatch ist jünger als die meisten, dafür aber ein kompletter Soziopath). Mehr als bei jeder anderen literarischen Figur beruht unser Bild von ihr auf einer medialen Quersumme, die in der Regel ausgebildet ist, bevor wir erstmalig einen der Romane in die Hand nehmen und uns selbst eine Figur ausdenken können.

Wir wissen eine Menge über Mr. Holmes, kennen (ungewöhnlicherweise) sogar seine Postadresse und seinen Mitbewohner, haben aber keine Ahnung, warum die beiden Herren eigentlich zusammenwohnen. Ist es alte Verbundenheit (etwa aus dem Studium oder dem gemeinsamen Militärdienst)? Ist es schlicht der gemeinsame Arbeitsplatz (Detektivbüro), an den sich die Privaträume anschließen (als Arrangement, das sich verselbständigt hat)? Ist es gar eine homosexuelle Beziehung (die über den körperlichen Vollzug mittlerweile hinaus ist)? Ist Dr. Watson so etwas wie der Pfleger von Holmes (an dessen Drogenabhängigkeit er allerdings nichts mehr ändern kann)?
Das alles mag etwas für sich haben, aber die Lebensgemeinschaft in der Baker Street 221B ist zuallererst eine ordinäre WG. Aus Kostengründen. Holmes und Watson sind zu zweit dort eingezogen, wie es in „Eine Studie in Scharlachrot“ beschrieben wird, weil sich einer allein die Wohnung nicht leisten konnte. Und vor dieser Vereinbarung sind beide einander auch nicht begegnet. Sie fanden aus dem selben Grund zusammen wie Felix und Oscar, die berühmteste „Männerwirtschaft“ der Theater-, Film und Fernsehgeschichte nach Sherlock Holmes und Dr. Watson.

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