Bitte unlocker bleiben!

betr.: Lockerungen in der Corona-Krise

Meine Freude an politischen Talkshows ist etwa in dem Maße geschrumpft, in dem mein alltägliches Interesse an meinem früheren Lieblingsmedium Fernsehen insgesamt abgenommen hat (also: immens!). Doch in den letzten Wochen habe ich wieder etwas öfter reingeschaut. Die wohlige Wirkung, die die Abwesenheit des Saalpublikums auf mich hatte, ließ mich öfter einschalten. Was mich öfter mal länger dranbleiben ließ, war die Wirkung, die diese Kammerspielsituation auf die Talkgäste hatte. Einige von ihnen benahmen sich wie immer, aber der überwiegende Teil war und ist gesammelter, sachlicher, weniger geschwätzig.  Das eitle Flirten mit dem Publikum, ohne die Blickrichtung zu wechseln – eine motorische Meisterleistung, die jeden Fakir vor Neid erblassen ließe – ist gegenstandslos, das Interesse für die entscheidenden Anwesenden* in der Runde hat zugenommen. Die nach wie vor zusehenden Millionen sind weit weg (ebenso der krawallige Geist von Dieter Thomas Heck, der sonst themenunabhängig durch alle diese Formate spukte). Nur ich selbst bin nicht mehr weit weg, sondern plötzlich ganz dicht dran.

Die meisten Studiokulissen wirken nun freilich etwas überjazzig**, aber da wirkt eine smarte Bildregie Wunder. Das einzige, was mich zunächst etwas irritierte, war die Moderationstemperatur von Maybrit Illner, die ein paar Sendungen brauchte, um zur neuen Intimität ihrer Runde herunterzuköcheln.
Besonders hübsch sieht die Deko von „Markus Lanz“ ohne das Saalpublikum aus.* Sie wirkt, als sei sie ursprünglich für diesen Betrieb gebaut geworden: seriös, hanseatisch, stimmungsvoll nächtlich. Die nun freiliegenden Knie-Kanten der sieben Zuschauerreihen schimmern in herrlich komponierten Farbtönen, dazwischen: wohlig-meditative Schwärze.
Mag die Welt da draußen auch täglich lockerer werden, ich hoffe, dieser Frieden bleibt uns erhalten!
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* Bitte nicht, shitstormen, liebe Talkshow-Touris. Ich bin sicher, ihr seid privat alle schwer in Ordnung! Als Einzelpersonen …
** Beim Schreiben dieser Zeilen wunderte ich mich, dass mein Rechtschreibprogramm den improvisierten Ausdruck „überjazzig“ nicht beanstandete, während es die weibliche Form der meisten Hauptwörter gnadenlos rot unterkringelt (Harfinistin, Mediatorin, Diktatorin …). Deswegen habe ich diesen improvisierten (wenn auch plausiblen) Neologismus im Artikel stehenlassen und nicht etwa „overdressed“ oder „aufgemotzt“ hingeschrieben. Zumal „overdressed“ ebenfalls unterkringelt wird, wie ich gerade feststelle …    

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Eine Antwort zu Bitte unlocker bleiben!

  1. John sagt:

    Ein neuer Blickwinkel, den ich nicht nur sacken lassen muss, sondern mittels einer nächstwöchigen Testphase im Eigenversuch zu prüfen gedenke. Danke für diese Darstellung, lieber Monty.

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