Endlich auch mal gesehen: „I wie Ikarus“

betr.: 100. Geburtstag von Henri Verneuil (am 15.10.)

Auch Cineasten haben Lücken unter den sogenannten Klassikern. Das späte Schließen einer solchen ist immer etwas Besonderes, erlaubt es doch einen frischen Blick auf ein betagtes Kunstwerk und seine einstige Bewertung.

Als im Radio kürzlich der Geburtstag von Henri Verneuil gefeiert wurde – einem der Großmeister des französischen Kriminalfilms – nahm ich mir das zum Anlass, mir „I wie Ikarus“ anzusehen. In der Sendung hieß es, diesem Spätwerk des Regisseurs sei nicht der erhoffte kommerzielle Erfolg vergönnt gewesen. Die Kritik hat ihn großenteils gefeiert.

„I wie Ikarus“ spielt um die Zeit seiner Entstehung (1979) und überträgt die Kennedy-Ermordung sowie ihre unbefriedigende Aufarbeitung in ein fiktives Land: es wird Französisch gesprochen, mit Dollar gezahlt, und die militärischen Würdenträger tragen Fantasieuniformen wie in einer Bananenrepublik. Der Film ist über weite Strecken um einen dokumentarischen Stil bemüht und bohrt dicke moralphilosophische Bretter. Doch die Ortlosigkeit der Figuren und ihrer Institutionen wirkt unernst und sabotiert die für einen Polit-Thriller so wichtige Wahrhaftigkeit. Yves Montand sollte das damalige Publikum wohl an „Z“ (1968) von Costa-Gavras denken lassen, einen Klassiker des zeitgeschichtlichen Dramas. Heute wirkt er als Hauptdarsteller so charismatisch wie ein greiser Schalterbeamter, dessen lächerliches Haarteil den letzten Rest von Glaubwürdigkeit zunichtemacht. In der deutschen Fassung wird dies noch von der Synchronstimme unterstrichen: Arnold Marquis war ein hochverdienter Meister seines Fachs, doch in späten Jahren neigte sein imposantes Organ zum Märchenkitsch.

Verneuils große Stärke war es, uns pompöse Schurken als menschliche Wesen zu präsentieren. So ist die gelungenste Szene von „I wie Ikraus“ denn auch jene, in der ein Einbrecher angeheuert wird, um ungenehmigterweise die Wohnung eines prominenten Verdächtigen zu durchsuchen. Der Dialog des Panzerknackers mit dem Beamten (nicht Montand) ist ein Hochgenuss. Der Rest des Films hat die routinierte Qualität eines Jürgen-Roland-Fernsehkrimis, aber auch dessen unfreiwillige Komik.

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