„Verbrenn die ersten beiden Spulen!“

betr.: 37. Jahrestag der Uraufführung von „Lost Horizon“

Dass Filmkunst historisch sein und uns bewahrenswert erscheinen kann, ist eine relativ junge Entwicklung.* Frank Capras Fantasymelodram „Lost Horizon“ jedenfalls gilt inzwischen als wiederhergestellt.
Die Wikipedia berichtet von Jahrzehnten, in denen darum gerungen wurde, jenen Film zu retten, den der Starregisseur Capra für seinen besten hielt. Wie seine Zerstörung ihren Anfang nahm, darüber spricht der Meister in seiner Autobiographie: höchstpersönlich will Frank Capra die ersten beiden Spulen verbrannt haben. Und er benennt ein ganzes Kapitel nach dieser Maßnahme.

Die Handlung spielt im 1937 noch wenig bekannten Tibet, auf dem in 5000 Meter Höhe gelegenen Dach der Welt. Genaugenommen: in Shangri-La, einem grandiosen Kloster, das – auf einem Felsen thronend – über das warme, grüne Tal des Blauen Mondes blickt.
Der britische Konsul Robert Conway wird entführt – und mit ihm das Flugzeug, in dem er unterwegs ist. Conway strandet mit den übrigen Passagieren in Shangri-La, wo ihm der Hohe Lama erklärt, warum gerade er – der brillante, einfühlsame Intellektuelle – auserwählt und der Welt entrissen wurde. Der altersschwache Lama hofft, Conway würde seinen Platz einnehmen und seine Mission weiterführen. Die Völker der Erde, so des Lamas Sorge, werden immer mächtiger, doch nicht ihre Weisheit wüchse dementsprechend, sondern ihr Zerstörungswille. Der Lama beobachtet mit Grausen die Fortschritte der Waffentechnologie und nimmt den „Roten Knopf“ vorweg, der im Kalten Krieg die reale Welt ängstigen sollte. Er trägt deshalb schon seit längerer Zeit alle Schätze der Kunst, des Geistes und der Weisheit in seinem entlegenen Reich zusammen, um wenigstens sie vor dem Weltenbrand zu bewahren, den er (respektive der Romanautor James Hilton im Jahre 1933) ebenfalls vorhersieht.
Zurück nach Hause darf Conway auf keinen Fall, denn das mystische Volk will seine Existenz vor der Zivilisation geheimhalten (- daher auch der deutsche Titel „In den Fesseln von Shangri-La“). Die unfreiwilligen Gäste des Paradieses beginnen, Fluchtpläne zu schmieden …

Im Kreis der Columbia-Mitarbeiter kam die aufwendige Produktion gut an, die bisher mit Abstand teuerste des Studios. Doch bei der ersten Testvorführung in einem vollbesetzten Kino erregte der Film ungewolltes Gelächter und wurde als „Fu-Man-Chu-Blödsinn“ verspottet. Frank Capra grübelte, was es wohl sei, das sein Werk für ein kleines Publikum so hinreißend machte und es bei einem großen durchfallen ließ. Schließlich wies er seinen Cutter an, den Vorspann an den Anfang der dritten Spule zu kleben, was einer Kürzung um zwanzig Minuten entsprach.
Der Rest ist Geschichte: der immer noch überlange „Lost Horizon“ wurde nicht nur ein Erfolg, sondern der Lieblingsfilm einer Generation von Filmfreunden und die erste A-Produktion der Columbia Pictures. Gleich nach der glücklichen zweiten Testvorführung will der Regisseur die „verflixten Filmspulen“ mit Akt eins und zwei eigenhändig in die nonstop laufende Verbrennungsanlage des Studios geworfen haben. Wie gut uns der ursprüngliche Anfang gefallen hätte, wird trotz der Restauration ein Rätsel bleiben – falls ihn die Mönche des Hohen Lama nicht doch gerettet haben.
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*Mehr dazu in drei Tagen an dieser Stelle

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