betr.: 21. Todestag von Roald Dahl
Roald Dahl war besonders elegant darin, aus den universalinteressierten Studien, die er als Autor und neugieriger Mensch beständig trieb, Nektar für seine Kurzgeschichten zu saugen. In „Der Lautforscher“ beschäftigt er sich mit der Schmerzempfindlichkeit von Pflanzen (und der Akustik natürlich), in „Gelée Royale“ mit Bienen, in „Der große automatische Grammatisator“ … nun, man kann es sich denken. Die Liste ließe sich mühelos verlängern. Fast alle der witzigen Horrorgeschichten aus Dahls mittlerer Schaffensperiode beruhen auf der näheren Beschäftigung mit einem Fachgebiet. Sex erweist sich immer wieder als Stichwortgeber, doch das vernimmt man eher als angenehm kribbelndes Grundrauschen.
Die Erkenntnis, wie gut solch verschwiemeltes Fachwissen (das heute modisch auch „unnützes Wissen“ heißt) dem laienhaften Lesevergnügen tut, hat Dahl aus seinen Anfangstagen als Erfolgsschriftsteller. Seine ersten veröffentlichten Texte beruhten auf seinen Erfahrungen als Flieger im Kriegseinsatz.
In „Bitch“, einer „Onkel Oswald“-Geschichte von 1974, mutet er uns sogar einen durchgehenden Vortrag über den Geruchssinn zu. Am Stück. Als Monolog. Ich habe mich einst bei der Lektüre so sehr amüsiert, dass ich gar nicht wissen wollte, ob das alles überhaupt wissenschaftlich korrekt ist. Es könnte immerhin sein – die Natur kommt ja bekanntlich auf die schrägsten Einfälle.
Der Vortragende dieses Textes, der hier stark gekürzt wiedergegeben wird, ist der Duftwasserfabrikant Henri Biotte:
Der Sexualtrieb des Hundes ist gewaltig. All seine Selbstbeherrschung schwindet dahin. Er hat nur noch einen Gedanken im Kopf, nämlich auf der Stelle zu kopulieren, und wenn man ihn nicht mit Gewalt daran hindert, wird er es auch tun. Es ist alles eine Sache des Geruchs. Wenn man den Riechnerv eines Hundes durchtrennt, wird er jedes Interesse am Sex verlieren. Das gilt auch für viele andere Säugetiere, nicht aber für den Menschen. Der Geruch hat nichts mit dem sexuellen Verlangen eines Mannes zu tun. Er wird in dieser Hinsicht vom Anblick, vom Tastsinn und von seiner lebhaften Fantasie gereizt. Nie vom Geruch.
Sie müssen all den Unsinn von Moschus und Ambra und den Hodensekreten der Zibetkatze vergessen. Wir machen Parfums heutzutage aus Chemikalien. Wenn ich Moschusgeruch haben will, nehme ich Sebacinsäure. Phenylacetaldehyd verschafft mir Zibet, und Benzaldehyd liefert den Geruch von bitteren Mandeln.
Der Urmensch der späten Eiszeit, der viel näher dem Affen verwandt war als wir, hatte immer noch die typische Geruchsreaktion der Affen. Er besprang also jede Frau mit dem richtigen Geruch, die ihm über den Weg lief. Später, im Paläolithikum und in der Jungsteinzeit, wurde er vom Geruch zunehmend weniger sexuell angeregt. Als um 2000 vor Christus die Hochkulturen in China und Ägypten entstanden waren, hatte die Evolution ganze Arbeit geleistet und die Fähigkeit des Menschen, sich vom Geruch sexuell stimulieren zu lassen, völlig unterdrückt. Die Vorrichtung ist aber immer noch dieselbe.
Unser eigentliches Riechorgan besteht aus zwei gelblichen Gewebetupfen, die jeweils rund 120 Quadratmillimeter groß sind. In dieses Gewebe sind die Nervenfasern und Nervenenden des Riechnervs eingebettet. Jedes Nervenende besteht aus einer Riechzelle, die ein Büschel winziger Riechhärchen trägt. Diese Härchen arbeiten als Rezeptoren, die Signale zum Gehirn senden. Am Ende jedes Empfängers befindet sich eine Einbuchtung, eine Art Becher, der darauf wartet, alle vorbeikommenden Duftmoleküle einzufangen. Die Moleküle haben alle möglichen Formen und Größen. Sie setzen sich nur in den Empfängern fest, deren Form zu ihnen passt. Pfefferminzmoleküle gelangen nur in besondere Pfefferminzempfänger, Kampfermoleküle passen nur in die Kampferempfänger undsoweiter. Es ist genau wie bei den Spielzeugen für Kleinkinder, bei denen man verschieden geformte Tiere in die richtigen Öffnungen stecken muss.
Während unser Geschmackssinn nur vier primäre Empfindungen kennt, kann unser Geruchssinn immerhin sieben ‚reine Primärgerüche‘ wahrnehmen: kampfrig, scharf, moschusartig, ätherisch, blumig, pfefferminzartig und faulig. Alle anderen Duftnoten sind Mischungen dieser Primärgerüche.
Es gibt noch einen achten reinen Primärgeruch: das sexuelle Stimulans, das den Mann der Urzeit vor vielen Jahrtausenden dazu veranlasste, sich genauso wie ein Hund aufzuführen. Werden diese Moleküle von unseren Empfängern eingefangen, passiert nichts. Kein Signal wird zum Gehirn gesendet. Die Telefonleitung ist unterbrochen.
Ich werde diesen Reflex reaktivieren! Diese Nerven haben sich nicht etwa zurückgebildet, sie ruhen nur. Ich habe keine Lust mehr, Chemikalien zusammenzumixen, um hübsche Gerüche zu produzieren.
Was ich vorhabe, ist, ein Parfum herzustellen, das auf einen Mann dieselbe elektrisierende Wirkung hat wie der Duft einer läufigen Hündin auf einen Hund!
Verzeihen Sie, wenn ich das sage, Monsieur, aber ich glaube nicht, dass Sie genug über die Eigenschaften der Organe wissen, um mir weiter folgen zu können. Die Vorlesung ist beendet!
Den Plan des Monsieur Biotte hat der Autor Patrick Süskind 1986 in „Das Parfum“ zur äußersten Erfüllung getrieben: dem Kannibalismus (auch dies ein Thema, mit dem sich Roald Dahl auseinandergesetzt hat) mit sexueller Konnotation. Wie zuvor schon Tennessee Williams. Siehe https://blog.montyarnold.com/2022/01/25/19822/