betr.: 45. Jahrestag der ersten Fotosession für das Cover von „Animals“
Eines der im Rückblick vorherrschenden Gefühle meiner Pubertät war das Bedürfnis, Englisch zu können – besser Englisch zu können als es der Stand der Schulbildung zuließ. Ich hatte erst in der 7. Klasse meine erste Englischstunde, da ich in der Nähe deutsch-französischen Grenze aufwuchs und mit Französisch angefangen wurde (was hübscher aber viel weniger cool war)*. Und selbst als es dann endlich losging, waren meine Mitschüler und ich noch längst nicht in der Lage, die coolen Songs im Radio zu verstehen oder auch nur halbwegs fehlerfrei mitzusingen.
So kam es zum Beispiel, das mir meine Mitschülerin Anja Hansen mit wissender Miene erklärte, der Name „Pink Floyd“ würde „rosarotes Schwein“ bedeuten. Ich war skeptisch. Nicht weil ich es auf Anhieb besser gewusst hätte, sondern weil mir das als ein Pleonasmus erschien (zumal in unserer ländlichen Gegend). Ein paar Tage später fiel mir noch ein, dass „Schwein“ doch eigentlich „Pig“ heißen müsste, aber da hatte ich keine Lust mehr, das Thema noch einmal aufzurollen.
Jedenfalls steht fest, was Anja diesem Irrtum aufsitzen ließ: das berühmte Cover der LP „Animals“. (Die Gruppe Pink Floyd war in Schulkinderkreisen sehr beliebt, nachdem sie sich mit „Another Brick In The Wall“ dort angebiedert hatte …)**
Wie ich heute weiß, war dieses Cover vor allem unter den Gesichtspunkten eines Faches interessant, auf das wir alle gerne verzichtet hätten: Physik. Die Gruppe Pink Floyd hat sich damals tatsächlich ein großes Plastikschwein anfertigen lassen und es mit Helium gefüllt, um das Foto zu machen. Sie bestellten Fotografen zur Battersea Powerstation, doch die kamen nicht zum Zuge. Es war zu wenig Helium vorhanden, um das Schwein abheben zu lassen. Man trank ein Glas Champagner und trennte sich wieder.
Schon am nächsten Tag machten die Jungs einen zweiten Versuch. Diesmal riss sich das Untier los, stieg bis auf 18.000 Fuß auf und wurde später in der Grafschaft Kent gefunden.
Wie kam das Foto nun tatsächlich zustande? Ich finde, in der Kunst muss es ein paar ungelüftete Geheimnisse geben …
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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2021/09/15/es-regnet/
** … ein Lied in der Tradition der „Hurra, die Schule brennt“-Klamotten, die in unseren Tagen in völlig neuem Licht erscheint.
SPOILERWARNUNG!
Wer nach dem kryptischen letzten Satz neugierig genug (und des geschriebenen Englischen einigermaßen mächtig) ist, kann das ganze Epos vom pneumatischen Pink Floyd-Schwein (hernach zum Showrequisit der Band geworden) sowie dem Albumcover von „Animals“, höchstpersönlich erzählt von Storm Thorgerson von Hipgnosis, in dem Buch „The Work of Hipgnosis: Walk Away Renè“ (ISBN-13 978-0891041047) nachlesen — Stichwort: The Great Pig Escape…
Dieses gemeinsam mit Studio-Partner Aubrey Powell verfasste Buch lohnt sich nicht nur wegen der Blicke hinter die Kulissen und Kreativprozesse von Teilen des Popmusik-Business in den heftigen Siebzigern, sondern auch, weil beide Autoren geborene Erzähler waren/sind (Thorgerson is‘ leider schon seit 2013 unterm Torf):
Die Geschichte hinter einigen der Aufträge von Hipgnosis ist nämlich ebenso wahnwitzig (wie es den abschnittsweise überlebensgroßen Siebzigern und ihren Protagonist(inn*)en ja auch zukam) wie zum Brüllen komisch, und werden von den beiden Autoren mit knochentrockenem bis beißendem Humor geschildert.
In den letzten Jahren sind auf DuTube! posthum auch vermehrt Videointerviews v.a. mit Thorgerson aufgetaucht, die ähnlich erhellend und (in umfassendstem Sinne) unterhaltsam ausfallen wie das genannte Buch (das, seinem Thema entsprechend, zudem auch noch viele schöne bunte Bilder 😉 hat), sämtlich aber leider an der Eigenheit des Interviewten kranken, arg überhastet und verwaschen zu sprechen. Diese Unart haben erstaunlicherweise ja so einige aus dem Musik-Business; im Gegensatz zu beispielsweise den Herren Banks und Rutherford von Genesis (ebenfalls langjährige ex-Kunden von Hipgnosis), bei denen mensch beim Zuhören und Zuschauen ihre Wurschtigkeit gleichsam mit Händen greifen kann, sprudelt Thorgerson aber vor Mitteilsamkeit förmlich über und scheint gar nicht schnell genug reden zu können für all die Erinnerungen und Informationen, die da aus ihm herauswollen…
(Nebenbei liefert er in diesen Videointerviews auch einige Lehrbuchbeispiele „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“.)
Für Buch und Clips gilt gleichermaßen: Dümmer wird mensch davon jedenfalls nicht!
*): Zu jenen Zeiten waren es im Popmusik-Business noch vorwiegend die HERRschaften, die durch hypertrophe Egos und zugehörige Extravaganzen von sich Reden machten.