Niederlagenkompetenz für Supertypen*

Ich gehöre, zu denen, die in der Zeitung immer zuerst den Kulturteil lesen und die Sport- und Wirtschaftsbeilage grundsätzlich auslassen. Nun habe ich mir (bitte keine weiteren Fragen!) einmal ein Wirtschaftsmagazin gegönnt. So viel Satire gab es allenfalls in den besten Zeiten der „Titanic“.
Journalistisch werden wir mit einer Neubewertung des Wirecard-Skandals beglückt – so nach dem Motto: wäre die Baronin nicht früher nach Hause gekommen, wüsste sie bis heute nicht, dass wir bei ihr eingebrochen haben.
Was soll’s? Den Schwerpunkt dieser Zeitschrift bilden ohnehin Feelgood-Beiträge, die der Kaste der Jet-Setter (die der Lockdown zwingt, sich von Flughäfen, Schnittchenbüffets und Luxus-Suiten fernzuhalten) etwas Aufmunterung zufächeln.

In diesem Heft wird erstaunlich viel gescheitert. So erging es zum Beispiel dem Starjournalisten Walter Isaacson beim Versuch, ein lesenswertes Vorwort zur neuen Autobiographie von Jeff Bezos („Seid Missionare, niemals Söldner!“ ruft er seinen Amazoniern seit „Tag eins“ unverändert zu) zu verfassen.
In der Oldie-Rubrik darf sich Ex-Bundespräsident Wulff noch einmal als Opfer fühlen, und wir erfahren, wie sehr es ihn stabilisierte, dass ihm „sein Freund“ Hape Kerkeling zum Jakobsweg „geraten“ hat – während die Millionen nicht mit Kerkeling befreundeten Menschen diesen Tipp aus seinem Bestseller beziehen mussten. Auch mancher andere „niederlagengestählte“ Mitmensch „kann jetzt Krise“.
Allen, deren Ruin noch aussteht, liefert die Rubrik „Im Trainingslager mit …“ unterdessen mundfertige Formulierungen für den nächsten Skype mit coolen Business-Typen („einfach wow“, „test, learn, build bigger“, ich sehe „mich als unzufriedenen Optimisten und fantasievollen Realisten“…).

Selbst der schmale Grat zwischen den Extremen wird ausgeleuchtet. Dass man als Wicht ohne Spesenkonto doch viel versäumt, bewies mir diese Passage: „Das wohl populärste Forum für Managerinnen und Manager sind die Fuckup Nights, die weltweit stattfinden, in Deutschland aber noch vergleichsweise unbekannt sind. Bei Drinks und Loungemusik geht es von der Unternehmensinsolvenz über den geplatzten Deal bis zur fehlgeschlagenen Produktidee. Hauptsache schiefgegangen – der Applaus von 300 bis 400 Menschen macht Redner und Zuhörer am Abend gleichermaßen high.“

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* … und natürlich auch für Supertypinnen.

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