Ixen für Anfänger: Textanalyse „Lord Merrydews lösung“

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Dieses typische Finale eines Kriminalromans ist alles, was überhaupt von jenem Kriminalroman existiert, und dennoch lässt es sich mühelos gestalten. Anthony Shaffer, der auch die Vorlage zu „Frenzy“ lieferte, eröffnet damit das Theaterstück „Sleuth“ (verfilmt als „Mord mit kleinen Fehlern“ / „Sleuth“, GB/USA 1972) – zu Beginn legt ein Kriminalschriftsteller letzte Hand an sein neuestes Buch und rekapituliert die abschließenden Seiten.

Der nicht existierende Roman ist eine Parodie auf das Plüschkrimi-Genre wie es von Agatha Christie zur Vollendung geführt wurde. Man braucht  den eigentlichen Roman nicht zu kennen, um den Text prima vista fehlerlos lesen zu können. Dazu muss man sich nur die bedienten Klischees und die zentrale Figur vor Augen führen: den an Hercule Poirot orientierten archetypischen eitlen Detektiv, der dem offiziellen Ermittler immer einen Schritt voraus war und dies nun genüsslich ausbreitet. Der Satz „Sein rotbäckiges Weihnachtsmanngesicht glühte vor boshaftem Vergnügen“ ist die wichtigste Regieanweisung.
Bereits die ersten Worte „Gemach, Gemach!“ geben den Ton der Darbietung vor. Die Bandwurmsätze, die gönnerhafte Milde gegenüber dem begriffsstutzigen Inspektor und der Respekt vor den durchaus raffinierten Plänen des Täters sagen uns: der Detektiv genießt dieses Ritual. Es ist für einen Amateurschnüffler wie ihn – der stinkreich ist und nur zu seinem Vergnügen Verbrecher jagt – der eigentliche Witz an der Sache.

Normalerweise finden solche Szenen der abschließenden Rekonstruktion in einem Salon statt, in dem sich alle Überlebenden der Mordgeschichte versammelt haben. Unter ihnen befindet sich stets auch der Täter, der insgeheim hofft, der Detektiv möge sich irren.
„Lord Merrydews Lösung“ arbeitet mit einer Variation dieses Konzeptes, die Rex Stout in seinen „Nero Wolfe“-Krimis pflegte: das Publikum wird vom Detektiv – zu fett und faul, um sein Arbeitszimmer zu verlassen – einbestellt, während er das Rätsel offiziell auflöst. Immer dabei: der Kriminalbeamte, der es allein mal wieder nicht geschafft hätte. Er ist im vorliegenden Text der Adressat der Geschichte.

Es ist sinnvoll (ich würde sagen: erforderlich), die hier zugrundeliegenden Vorbilder zu kennen. Da es sich schon beim Text um eine Parodie handelt, trifft das auch auf die Darstellung zu. Mustergültiges agiert Albert Finney in der ersten Verfilmung von „Mord im Orientexpress“ (1974). Er genießt seinen intellektuellen Triumph mit einer Verve, die für einen weniger brillanten Schauspieler (und ohne einen Regisseur wie Sidney Lumet) ein Wagnis gewesen wäre. Wer es nicht so pompös mag, kann die gemütlichere Poirot-Interpretation von Peter Ustinov hinzuziehen. Auch beim bescheidenen „Columbo“ gibt es ein paar Showdowns, die in diese Richtung gehen. Die Orientierung an einem solchen Vorbild ist schon deshalb nötig, weil sie auch vom Publikum unweigerlich vorgenommen wird.

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