Elend und Größe des Modus Operandi

Wenn man ein künstlerisches Prinzip erst einmal durchschaut hat, kann einem das den ganzen Spaß verderben.
Ich erinnere mich noch, wann mir das bewusst wurde. Die Serie „Golden Girls“ wurde von mir und vielen meiner Altersgenossen sehr geliebt. Für unsere Sitcom-unerfahrenen Verhältnisse waren ihre routiniert abgelieferten Gags und Punchlines wirklich witzig. Die Struktur einer jeden Episode war unerbittlich: zwei Geschichten mit wechselnden Heldinnen (also je eine der Vier) liefen nebeneinander her und waren nur dadurch verbunden, dass sie in der selben Wohnung erlebt bzw. diskutiert wurden (also etwa: Rose eröffnet ihren Freundinnen in der ersten Szene, dass sie sich entschlossen hat, sich umoperieren zu lassen, Blanche verkündet gleich darauf, sie bekomme bald Besuch von ihrem ersten Haustier, dass zu ihrer Verwunderung noch lebt). Zwanzig Minuten lang wechselten sich diese Plots brav und gleichmäßig ab, um dann in der Schlussszene folgenlos wieder einkassiert zu werden (Rose lässt sich doch nicht operieren, Blanche erfährt, dass ihr ein Hochstapler geschrieben hat und ihr Baby-Alligator wirklich tot ist). Damit war für mich die Luft irgendwie raus, und ich wandte mich der nächsten und deutlich frecheren Comedy-Serie zu: „Eine schrecklich nette Familie“ – dort gab es eine solche Schablone nicht.

Die beschriebene Enttäuschung wiederholte sich fortan auf höherer Ebene. Immer öfter und immer deutlicher sah ich solche Schnittmuster durch den Stoff schimmern und verlor die Freude daran.
Übrig blieben schließlich jene Kunstwerke, bei denen entweder kein erkennbarer Trick existiert (z.B. bei den Arbeiten von Rod Serling) oder bei denen er dem Vergnügen nichts anhaben konnte, weil aus der Routine ein geschicktes Spiel mit der kollektiven Zuschauererwartung gemacht wurde. Das anschaulichste Beispiel ist die Sahnetorten-Dramaturgie des Slapstick-Kinos, die Laurel und Hardy bis in die Tonfilmzeit gerettet und immer weiter verfeinert haben. Sobald ein großer Kuchen ins Bild kommt, wissen wir: er wird geworfen werden. Und freudig fragen wir uns, wen und in welcher Reihenfolge er treffen wird. Viele kleine Törtchen vergrößern den Kreis der Anwärter. Oder ein Swimming Pool …

Der zu dieser Zeit in England aufstrebende Jungregisseur Alfred Hitchcock hatte das begriffen und für die Verhältnisse des Kriminaldramas adaptiert. Als einer seiner Filme in der Schweiz spielte, fragte er sich: „Was gibt es in der Schweiz? Milchschokolade, die Alpen, Volkstänze und Seen. Aber wenn das mehr als ein bloßer Hintergrund sein soll, muss in einem See jemand ertrinken, und die Schluchten sind dazu da, dass jemand hineinstürzt!“ (Außerdem hatten die Spione ihr Versteck in einer Schokoladenfabrik.)

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