„Breaking Bad“ für Bürokraten

betr.: „Breaking Bad“ (TV-Serie) / „Breaking Bad“ (Sachbuch zur Serie)

Nachsichtig betrachtet ist die Serie „Breaking Bad“ mit der vierten Staffel zuende. Für das Duo im Zentrum der Geschichte ist alles gut ausgegangen, und ich hatte – wie schon am Ende von „The Wire“ – wieder einmal das Gefühl, „so etwas Geiles“ noch nie gesehen zu haben. Als es dann doch weiterging, war ich natürlich glücklich, diesen Hochgenuß noch etwas dehnen zu können, und naturgemäß hat mir (rein inhaltlich) einiges von dem leidtun müssen, was noch kam. Es soll hier aber nicht darum gehen, „Breaking Bad“ zu loben. Diese Serie ist so oft zu recht gerühmt worden, dass sie sich inzwischen auch von Leuten angesehen wird, die sie sonst gar nicht mögen würden. Ich möchte heute über den „inoffiziellen Serienguide“ von Ensley F. Guffey und K. Dale Koontz reden, den ich soeben ausgelesen habe.

Analoge Eingeborene wie ich werden sich daran gewöhnen müssen, dass auch Bücher sich heute mitunter lesen, als wären sie innerhalb einer einzigen (längeren) Sitzung am PC entstanden, ohne eigene Recherche, ohne Gespräche mit lebenden Personen oder der Nutzung einer (Privat-)Bibliothek, hergestellt nur mit viel Wikipedia-Cpoy-Pasting und improvisiertem Psycho-Kitsch von der Sorte: „Walter erkennt nicht, wie sehr seine Familie ihn liebt!“

Das besagte Buch bereitet das Lesevergnügen einer Excel-Tabelle. Nacherzählung, Analyse, Infos sind säuberlich getrennt. Hinter den Namen der vielen Darsteller im Fließtext steht eine Auswahl ihrer sonstigen medialen Auftritte in Klammern. Hin und wieder wäre der Hinweis nützlich gewesen, ob es sich um einen Film oder eine TV-Produktion handelt, bei Titeln wie „Total Recall“ täte die Information gut, ob Originalfassung oder Remake (bzw. eine Jahreszahl). In einigen Fällen würde es sich lohnen, einen Hinweis auf die Rolle zu erhalten, die von der genannten Person im anderen Projekt gespielt wurde (… Robert Forster spielte in „Jackie Brown“ den coolen Kautionsmakler, der Darsteller des trauernden Fluglotsen, John de Lancie, war in „Star Trek- The Next Generation“ Q, ein durchaus komödiantisch gezeichneter Vertreter einer höheren Rasse …). Für den hier verbrauchten Platz könnte man zur Not den einen oder anderen Titel auslassen – aber das wäre genau die Art einer persönlichen Einordnung, die einem Google nun mal nicht abnehmen kann. Ebenso ordentlich werden die  Original-Songs aufgeführt, die in der Serie gespielt werden – „Breaking Bad“ hat wenig Musik und keinen eigenen Soundtrack. Aber auch hier täten von Zeit zu Zeit ein paar zusätzliche Hinweise gut. Dass z.B. „On A Clear Day You Can See Forever“ aus Folge 5.03 der Titelsong eines Reinkarnations-Musicals ist, hat wohl nicht im Internet gestanden, also fehlt es hier auch. (Einer der prägnantesten Musikeinsätze der gesamten Serie ist eine sogenannte „Source Music“ und fällt daher gleich ganz unter den Tisch: „Crapapelada“. Diese Platte legt Gale Boetticher auf, ehe der finstere Gustavo Fring zu Besuch kommt.) An anderer Stelle wird dafür zu viel des Guten getan, wird der Leser eingedeckt mit knotendoofen Hinweisen wie „Close-Ups dienen dazu, Dinge hervorzuheben!“ oder es wird uns brav in jeder nacherzählten Folge erklärt, was Zeitrafferaufnahmen bedeuten und dass der Gelbfilter immer dann eingesetzt wird, wenn eine Szene südlich der mexikanischen Grenze spielt. Die Feststellung „Jetzt gibt Walter endlich zu, dass er es eben NICHT für seine Familie getan hat sondern nur für sich selbst“ wird ab der Mitte des Buches immer und immer wieder als große Überraschung verkauft. – Es ist schade, dass hier bei der deutschen Übersetzung nicht ein wenig ausgemistet wurde. Auch einige Hinweise auf die Synchronfassung, die naturgemäß im englischsprachigen Original fehlen und zu der es der deutschen Leserschaft einiges zu erzählen gäbe, hätten gutgetan.

Stilblüten wie „Bücher-Fan“ oder die Bewertung stundenlangen Ego-Shooter-Spielens als empfehlenswerte Selbsttherapie verraten dann doch mehr über die Autoren, als ich persönlich wissen wollte. Ganz offensichtlich interessieren sich diese beiden für kein TV-Ereignis, das länger als 15 Jahre zurückliegt, was sie nicht an zahllosen halbstarken Superlativen hindert („einer der eindrucksvollsten Tode der Fernsehgeschichte“, „die brutalsten zwei Minuten der Fernsehgeschichte“ …). Diese Herren müßten vermutlich die Suchmaschine anwerfen, wenn man sie nach dem Beruf von „Columbo“ fragen würde.

Die Begeisterung, die „Breaking Bad“ bei mir und Millionen anderer Fans ausgelöst hat, wird niemals auch nur ansatzweise heraufbeschworen – denn das verblüffendste Qualitätsmerkmal wird übersehen: wie beglückend es ist, etwas Spannendes mit viel Witz erzählt zu bekommen, ohne dass sich die beiden Elemente gegenseitig im Wege sind. Das hat in alter Zeit vor allem Alfred Hitchcock vorgemacht, jener Filmregisseur, der gemeint ist, wenn in historischen Aufsätzen einfach nur „The Master“ gesagt wird. Diese Auszeichnung spricht für sich. Sie leitet sich von „Master of Suspense“ ab – nicht etwa „Master of smiling Suspense“, was noch treffender wäre. Wie schwer diese Aufgabe ist, die im Gelingensfall stets so leicht aussieht, merkt man schon daran, wie selten sie glückt. Nicht einmal Stanley Donen, der als einer der besten Hitchcock-Imitatoren gilt, hat die Balance zwischen Schrecken und Gelächter so richtig hinbekommen. „Breaking Bad“ ist der glückliche Fall, in dem das wieder einmal gelingt („The Wire“ war ein anderer). Immer wieder wird das Ensemble angemessen dafür gelobt, wie überzeugend es in dramatischen, peinvollen Situationen aufspielt – kein Wort wird über seine (mitunter gleichzeitigen) komödiantischen Leistungen verloren. Jesse Pinkman / Aaron Paul ist als typischer Underdog besonders häufig das Opfer der von „Murphy’s Law“, jener Banalitäten, die bekanntlich selbst hochdramatische Lebensumstände aufweisen. (Sein nächtlicher Absturz in ein Dixi-Klo ist ein sehr hübsches Beispiel.) Bob Odenkirk hat als schmieriger Anwalt keinen größeren Wunsch als den, einen flotten Spruch zu machen, und einige davon sind wirklich gut. Die kleptomanische Marie ist eine klassische komische Nebenrolle, ebenso der trottelige Komplize Badger. Ganz anders funktioniert der kauzige Laborant Gale Boetticher. Gerade weil er sich und seine Arbeit so ernst nimmt, geht von ihm eine geradezu poetische, würdevolle Komik aus. Der schweigsame Killer Mike (für die Enthüllung seines drolligen deutschen Familiennamens wird ein besonderer Moment gewählt) hat einen ganz eigenen, lebensklugen Witz und sorgt mit seiner Art, die Dinge allenfalls mit Blicken zu kommentieren, für eine Menge unterschwelligen Humors wie man ihn in keiner Sitcom findet. Keine Figur der Reihe jedoch ist ein solcher Quell der Heiterkeit wie der Drogenfahnder Hank Schrader, gespielt von Dean Norris, dessen herziges Maulheldentum auch in Krisenzeiten nie ganz versiegt. In der vorliegenden Fachliteratur wirkt er wie ein depressiver, bürokratischer Schmerzensjesus, der unentwegt aus der Hausordnung zitiert.

Damit wir uns nicht mißverstehen: die Komik dieser Serie ist eben nicht auf ausgewählte Charaktere beschränkt, die für die flotten Kalauer zuständig sind, während alle übrigen das Drama hochhalten – das ist eher das Niveau von George Lucas. Es ist diese Hitchcock’sche Ausgewogenheit von gut gebautem Drama und der ewig lauernden Tücke des Objekts, die dafür sorgt, das „Breaking Bad“ nicht nur genial ist sondern auch noch Spaß macht! Schade, dass das mal wieder keiner ernst nimmt.

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