Das große Is-mir-wurscht

betr.: 37. Geburtstag von Daniel Hartwich

Es gab eine Zeit, da haben die Menschen geliebt und gehasst. Sie waren unterschiedlicher Auffassung, aber sehr leidenschaftlich.
Ich spreche hier nicht von den Menschen als Liebhaber, als Freunde oder in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige. In diesem Punkt haben sie sich möglicherweise überhaupt nicht verändert, schwer zu sagen.
Eins aber steht für mich fest: in ihrer Eigenschaft als Publikum ist die breite Masse nicht wiederzuerkennen.

In einer noch erheblich kleineren Medienlandschaft, ich möchte das Fernsehen gern in den Mittelpunkt meiner Überlegung rücken, leistete sich fast jede und jeder ein paar Lieblinge und ein paar Hassfiguren. Was wurde nicht alles geschrieben über polarisierende Individuen wie Hans-Joachim Kulenkampff oder den jungen Rudi Carrell. Wurde ein solcher Moderator auf den abendlichen Bildschirm geholt, konnte es passieren, dass der unterlegene Ehepartner das Haus demonstrativ verließ und die Zeit anderswo totschlug. Andere blieben brodelnd vor dem Kasten sitzen, um sich fertig zu ärgern.

Schon die nächste Generation von großen Showmastern – die Gruppe verkleinerte sich in dem Maße, in dem das Programmangebot zunahm – wunderte sich öffentlich, warum sie zwar tüchtig eingeschaltet, aber dauernd heruntergemacht wurde. Im Grunde fällt mir heute nur noch Thomas Gottschalk als Beispiel ein, die anderen sind mir entfallen. Er haderte damit, nicht schlau aus der Wahrnehmung und öffentlichen Wertschätzung seiner Person zu werden. Er ahnte nicht, wie sehr er im Trend lag.

Heute fällt auf, wie beliebig und meinungslos das Publikum mit seinen Prominenten umgeht. Der SPIEGEL schlägt angesichts dessen etwa alle zwei Monate in seiner Titelgeschichte die Hände über dem Kopf zusammen und sorgt sich über den Zustand eines Volkes, das die wolkige Beliebigkeit seiner Kanzlerin übernommen hat, eine Beliebigkeit, die alle Lebensbereiche durchdringt und den politischen Gegner durch das Aufweichen des eigenen Profils inzwischen in die Selbstzersetzung treibt. Der Gegner persönlich unterschreibt das, indem er zugibt, keine Lust mehr auf den nächsten Wahlkampf zu haben.

Aber am deutlichsten sind die Signale weiterhin im Bereich der Unterhaltung. Ich kenne niemanden, der sich dazu bekennt, Bohlen, Mario Barth oder Til Schweiger wirklich zu schätzen oder gar zu verehren. Das wäre irgendwie peinlich – trotzdem war oder ist diesen Herren eine lange Medienpräsenz sicher. Es geht hier nicht mehr darum, einen Unterhaltungsauftrag zu erfüllen, man wird einfach gern gesehen und gehört, so wie man ist. Würde Dieter Bohlen während einer Live-Übertragung einen schlimmen Unfall erleiden, fänden das vermutlich genau diejenigen „voll geil“, die ihn eingeschaltet haben.

Als ich neulich in einer großen Veranstaltung saß, wurde einer der heute unvermeidlichen Helene-Fischer-Witze gemacht. Das geht so. Das Lied „Atemlos durch die Nacht“ wird kurz angesungen. Das Publikum erkennt den Hit wieder, freut sich drüber und jubelt ausgiebig. Dann sagt eine andere Person auf der Bühne: „Ich kann dieses Lied nicht mehr hören!“ Stimmt, denkt das Publikum, der Song ist ja eigentlich doof, und der Jubel wird wiederholt, diesmal mit genau umgekehrten Vorzeichen.
Beide Male applaudieren die Gleichen. Folglich hat niemand mehr eine Meinung dazu. Und auch auch das ist wiederum jedem wurscht.

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