betr.: 127. Geburtstag von Maurice Chevalier
Dieser Mann wurde einmal als „Boulevardier“ bezeichnet, und das drückte große Hochachtung aus. So veraltet dieses Wortspiel ist, es läßt sich noch immer gut entschlüsseln: nichts, was er tat – als Sänger, Schauspieler, Komiker – wirkte angestrengter als ein Schlendern, als ein Benutzen des Boulevards.
Seine einstige Größe läßt sich bereits daran ablesen, dass er der neben Chaplin meistparodierte Mensch der Welt gewesen ist. Er selbst parodierte auch, aber wie gut er das tat, können heutige Betrachter dieser alten Aufnahmen nur noch vermuten, denn die Originale waren schon zu seiner Zeit Klassiker und entstammen folglich einer Epoche, als man noch nicht alles jederzeit mitschneiden konnte.
Heute ist dieser Mann selbst beinahe vergessen – allenfalls einige der weit über 30jährigen erinnern sich noch an ihn: Maurice Chevalier.
Das neunte von zehn Kindern (und eines von vieren, die das Erwachsenenalter erlebten) wollte eigentlich Akrobat werden, wurde aber durch eine frühe Verletzung zum Sänger und Komödianten. Er tat sich mit der legendären Mistinguett zusammen – im Leben und in den Follies Bergère -, ehe er zum Militär eingezogen wurde. Das geschah ausgerechnet ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Chevalier landete kurzfristig in einem Gefangenenlager, aber dort lernte er immerhin Englisch. Nach dem Krieg streifte er sein Clown-Image ab und legte sich ein markantes Outfit zu, dessen wichtigstes Element die Kreissäge war, jener Strohhut, den künftig jeder aufsetzen mußte, der ihn parodieren wollte. (Die Chaplin-Fraktion benötigte bekanntlich zum Hut noch ein Bärtchen dazu, das Stöckchen und die Nelke im Knopfloch konnten alle benutzen …) Wer keinen Strohhut zur Hand hatte, der hob den französischen Akzent hervor, der Chevaliers Stil bei seinen Engagements im Ausland weiterhin auszeichnete.
Ernst Lubitsch nahm ihn mit nach Hollywood, seine Chansons gingen um die Welt – z.B. die französische Version von „Ausgerechnet Bananen“, er glänzte bald auch als Charakterschauspieler.
Obwohl der Charme seine wichtigste Disziplin war, erwies er sich „marketingmäßig als Langzeit-Typ“*. Noch als Siebzigjähriger trug er zum Erfolg eines Filmes bei, der natürlich in Paris spielte und Chevalier in den Bois de Boulogne hineinstellte, einen weiteren natürlichen Lebensraum für jeden Boulevardier.
Das Musical „Gigi“ bekam den Oscar für den besten Film (und neun weitere) und beerdigte auf denkbar würdevolle Weise das Genre des Filmmusicals.
Schon die Titel der Songs, die Chevalier zu singen hat, sind heute von prickelnder Brisanz: „Thank Heaven For Little Girls“ und „I’m Glad, I’m Not Young Anymore“, an dem er sogar mitgearbeitet haben soll. Besonders gut blieb aber sein Duett mit der ähnlich betagten Kollegin Hermione Gingold in Erinnerung: „I Remember It Well“. Das war gelogen – der alte Knabe erinnerte sich ü-ber-hauptnicht. Das war ja gerade der Witz an der Sache.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein besonders kluger Ausspruch ein, der Chevalier zugeschrieben wird: „Je älter wir werden, desto ähnlicher werden wir uns selbst.“
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* Zugegeben: diese Formulierung war eigentlich Hanns Dieter Hüsch zugedacht, aber sie paßt hier wie dort.