Wie entsteht eine Wittapolation?

betr.: 78. Geburtstag von Witta Pohl

Wer wie ich aktuelle amerikanische Serien gerne auf deutsch anschaut, kennt das Problem: Betonungsfehler soweit Ohr und Auge reichen. (Die Tendenz steigt: in „Masters Of Sex“ oder „The Knick“ gibt es bis zu einem Dutzend pro Folge.) Sie entstehen, weil inzwischen im Synchron grundsätzlich ge-ixt wird, d.h. die Dialogpartner bekommen einander nie zu Gesicht. Um Zeit zu sparen, nimmt jeder seine Takes allein auf. (Natürlich ließen sich diese Fehler durchaus auch dann vermeiden …)

Wenn ich im Unterricht auf eine Fehlbetonung hinweise, versucht der Vorlesende, den verunglückten Satz zu reparieren. Anstatt ihn in seinen konkreten Zusammenhang zu setzen, was was von vorneherein richtig gewesen wäre, wiederholt er die vermurskte Version und packt die Betonung irgendwondershin – was unweigerlich in die Hose geht.
(Mein Lieblingsbeispiel: die Zeile „Der tut nichts!“ hat einen völlig anderen Klang und eine gänzlich andere Bedeutung, je nachdem ob man sie auf einen Lehrling oder auf einen Schäferhund bezieht.)

Ohne Titel-1

Für die Fehlbetonungen, die bei den solchen Reparaturversuchen entstehen, ist mir ein hilfreicher Fachbegriff eingefallen: Weihnachtsbetonung oder auch Wittpolation.
Die erste Variante bezieht sich auf den festlichen Ansatz, die Betonung mit besten Absichten zu verschenken anstatt sie intuitiv geschehen zu lassen (- der gesprochene Satz ist „gut gemeint“). Die zweite würdigt die verstorbene Eppendorfer Fensehtragödin Witta Pohl, an die sich unsere älteren Mitbürger noch lebhaft erinnern können.
Ihr zentrales Stilmittel war das Halten von ausgedehnten Predigten, die die Handlung für mehrere Minuten stillstehen ließen. (Der Amerikaner sagt „Showstopper“ dazu.) Auch wenn Frau Pohl korrekt betonte, neigte sie zur pathetischen Überzeichnung einzelner Silben.
Es klang dann immer wie Weihnachten, obwohl sie satzmelodisch im Grunde nicht falsch lag.

Dieser Beitrag wurde unter Buchauszug, Medienkunde, Medienphilosophie, Mikrofonarbeit, Philologie abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert