betr.: Ausstellung „Going West!“ im Wilhelm Busch Museum Hannover* / Barack Obama ordnet striktere Regeln für Waffenbesitz an (vor 2 Tagen) / Serie
Der Ausstellungskatalog „Going West!“** von Alexander Braun hat mich zunächst als Comicfreund interessiert, doch dann begeisterte er er mich noch weit darüber hinaus. „Going West!“ ist nicht nur ein reich bebildertes „Coffee Table Book“, es ist ein Standard- und Quellenwerk.
Im einführenden Kapitel „Das große Nichts“ wird der Mythos des Wilden Westens, der bis heute die Grundlage des US-amerikanischen Selbstverständnisses bildet, nacherzählt, analysiert und kulturhistorisch eingeordnet. Dieses Kapitel wird hier mit freundlicher Genehmigung des Autors als kurze Serie wiedergegeben.
Das große Nichts (1)
von Alexander Braun
Die heroischen Geschichten von der Eroberung des sogenannten Wilden Westens Nordamerikas sind ein Betrug. Weder haben sie so stattgefunden, wie es die Legenden in ungezählten Versionen kolportieren, noch waren sie heroisch – zumindest nicht in überwiegender Zahl. Was stattfand, war die Opferung Vieler – die den Versprechen von Freiheit, Glück und Wohlstand folgten – auf dem Altar politischer und kapitalistischer Interessen Weniger. Der nordamerikanische Westen der großen Prärie war wahlweise eine Wüste (sommertags), eine Schlammlandschaft (wenn der wenige, dann aber punktuell ergiebige Regen niederging) oder eine Eishölle. Dazwischen suchten Heuschreckenplagen das Land heim. Die nomadischen Ureinwohner dieser Steppe hatten sich auf die wenigen Möglichkeiten eingestellt, in dieser Kargheit zu überleben, wanderten von Rastplatz zu Rastplatz und nutzen die einzige nennenswerte Ressource, die es gab: den nordamerikanischen Bison. So entbehrt es nicht einer mehr als bitteren Ironie, dass die beiden Lebensformen, denen es gelungen war, in Koexistenz den Widrigkeiten der Natur zu trotzen – die Prärieindianer und der Bison – als eine Art Kollateralschaden dieser Annexion im Namen der Zivilisation zu Grunde gerichtet wurden.
Abertausende von Bisonschädeln, vorbereitet für die Weiterverarbeitung zu Düngemittel (ca. 1870) – Nicht einmal 50 Jahre benötigte der »weiße Mann« und seine vermeintlich überlegene Zivilisation, um den nordamerikanischen Bison nahezu auszurotten. Die Population sank von einst 25 bis 30 Millionen Exemplaren auf wenige hundert am Ende des 19. Jahrhunderts.***
Vor der Ankunft Christoph Kolumbus’ 1492 lebten Schätzungen zufolge 18 Millionen indigene Ureinwohner auf dem nordamerikanischen Kontinent. 1890 waren es nur noch 250.000.
Das Massaker von Wounded Knee (South Dakota) am 29. Dezember 1890, bei dem ca. 300 unbewaffnete Sioux getötet wurden, nur weil sich aus Versehen ein Schuss gelöst hatte, war das letzte Kapitel in der Geschichte des Genozids an den amerikanischen Ureinwohnern. Das abgebildete Opfer Häuptling Spotted Elk, Häuptling der Miniconjou (Lakota Sioux), wird in der Literatur häufig falsch als Big Foot tituliert.***
Dem Bison erging es nicht besser: Von einer geschätzten Zahl von 25 bis 30 Millionen Tieren vor der Ankunft des weißen Mannes lebten am Ende des 19. Jahrhunderts nur wenige hundert Exemplare. Erst waren die Tiere nach 1870 der boomenden Lederindustrie in Europa zum Opfer gefallen (die Amerikaner benötigten dringend Devisen, um die Kosten des Bürgerkriegs zu tragen), dann begann das touristische Schlachten aus den Fenstern der Züge der Central Pacific Railroad. Ein geübter Schütze brachte es auf 50 bis 100 Abschüsse pro Tag. Das Fleisch verrottete auf der Prärie, Millionen Felle pro Jahr wurden an die Ostküste verfrachtet und verkauft.
Aber auch unzählige Einwanderern aus der Alten Welt, Deutsche, Iren, Italiener, Skandinavier und Osteuropäer zogen in ihr Verderben, weil sie den Werbeversprechen der amerikanischen PR-Strategen Glauben schenkten, und die Armutshölle in den Hinterhöfen ihrer alten Heimat gegen die Hölle des »großen Nichts« in der Neuen Welt eintauschten. Anstelle des versprochenen fruchtbaren Landes (zuvor von Regierung oder Eisenbahngesellschaften parzelliert) und der in Aussicht gestellten unermesslichen
Reichtümer, die sie sich nur aneignen müssten, wartete »die Stille des Todes« auf sie, die »auf der gewaltigen Landschaft ruht, nur unterbrochen von den heimtückischen Winden, die jede Ritze und jede Spalte der Gebäude suchen und (…) durch jede ungeschützte Öffnung blasen.« So formulierte es im September 1893 der Journalist Eugene Virgil Smalley (1841–1899) in seinem Artikel für das Magazin Atlantic Monthly,
in dem er die Lebensbedingungen der Farmer auf den Great Plains beschrieb. Egal ob etwa Dakota, Montana oder Nebraska im Norden, oder Arizona, Utah oder Texas im Süden, die klimatischen Bedingungen variierten graduell, das vernichtende Urteil blieb immer dasselbe: »unbewohnbar«.
FORTSETZUNG FOLGT
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* Die Ausstellung läuft noch bis zum 21. Februar und wandert dann weiter ins Saarländische Wagdassen
** Das Buch ist nicht regulär im Handel erhältlich. Man kann es am jeweiligen Ausstellungsort für den Preis von 49 Euro erwerben (432 Seiten mit Schutzumschlag) oder direkt bestellen bei: mail@german-academy-of-comic-art.org (zzgl. 5 Euro Versandkostenanteil / wird als Paket verschickt).
*** 1. Burton Historical Collection, Detroit Public Library / 2. Der tote Körper von Spotted Elk – Library of Congress, Washington D.C. – Abbildungen aus dem besprochenen Band.