betr.: „Eternauta“ / 97. Geburtstag von Héctor Germán Oesterheld
Die umfangreichste Graphic Novel meines Lesesommers ist „Eternauta“ (im Mai auf Deutsch erschienen). Sie entstammt der reichen argentinischen Comic-Szene der 50er und 60er Jahre, von der viele von uns allenfalls den heiteren Comic Strip „Mafalda“ und die Cartoons von Quino in Erinnerung haben oder Mordillos „Giraffengeschichten“. Héctor Germán Oesterheld war der wichtigste Szenarist dieser Community. 1976, nach der Machtergreifung der Militärjunta, ging er in den Untergrund. Er war seinen vier radikalen Töchtern gefolgt und wurde bald nach ihnen gefaßt und umgebracht. Man gerät spontan in Versuchung, „Eternauta“ als eine Vorahnung dieses Schicksals zu lesen. Doch zunächst einmal handelt es sich hier einfach um ein klassisches Science-Fiction-Abenteuer, das von einer außerirdischen Invasion erzählt. Solches war im amerikanischen Kino-Mainstream von 1957 bis ’59, als die Geschichte in Fortsetzungen erschien, sehr in Mode.*
Im Buenos Aires setzt eine Art Schneefall ein, der alle augenblicklich tötet, die mit ihm in Berührung kommen. Der Unternehmer Juan Salvo, seine Familie und seine Pokerrunde überleben. Glücklicherweise waren die Fenster wegen der herrschenden Kälte alle geschlossen, und die kleine Gruppe zieht aus dem Anblick der schrecklichen Dinge da draußen die richtigen Schlüsse. Außerdem erlaubt ihnen Salvos gut ausgerüstete Hobby-Werkstatt, sich Schutzanzüge zu nähen und die (fast) völlig ausgestorbene Umgebung nach Lebensmitteln und anderem Nützlichen zu erkunden. Doch bald erkennen die Freunde, dass sie ihre kleine Festung verlassen müssen. Sie schließen sich einer militärischen Einheit an, die gegen einen geheimnisvollen Feind zu Felde zieht: die außerirdischen Invasoren, die das grauenvolle Wetterphänomen verursacht haben.
„Eternauta“ ist ein fesselndes Endzeit-Drama, aber kein reines Vergnügen. Ihm fehlt die ironische Distanz, es liest sich über weite Strecken wie eine Strafarbeit. Der soldatische Grimm, in dem fortwährend die Miesigkeit der Verhältnisse und die Sorge um die daheim zurückgelassenen Familienangehörigen betont werden, verleiht dem Werk einen säuerlich-anklagenden Unterton, wie man ihn aus östlicher Propaganda kennt. Doch der Agitprop hat keine Zielrichtung. Um eine Durchhaltebotschaft zu entwickeln, fehlt ihm der Humor, der bekanntlich auch bei dramatischer Science-Fiction immens wichtig ist.
Die Zeichnungen von Francisco Solano López machen die Sache bei aller Kunstfertigkeit nicht besser. Die zahllosen feinen Striche lassen auch Wuchtiges mühevoll und zerbrechlich aussehen, die Figuren haben einen (stilistisch bedingten) fleckigen Teint. Diese Schraffuren laufen immer mal wieder zu dickeren Linien zusammen, da bei der Herstellung des Buches offenbar nicht sämtliche Originalzeichnungen zur Verfügung standen und man sich sonst mit der gröberen Druckversion behelfen mußte. Diese konturbetonten, kontrastreicheren Passagen funktionieren in ihrer Klarheit fast besser.
Leider läßt López bei der Gestaltung der verschiedenen Gattungen der Aliens, die unsere Helden schubweise bedrängen, wenig kreative Fantasie walten. Bei aller betonten Fremdartigkeit sehen sie doch stets aus wie Mensch und / oder Tier. Den meisten Grusel verbreiten sie immer unmittelbar bevor man sie tatsächlich zu Gesicht bekommt. Die Freude des Zeichners, sich für all den Terror angemessene Scheusale auszudenken – wie sie Werke zeitgenössischer und auch früherer Comic-Künstler zahlreich bevölkern – hätte der Geschichte immens gutgetan. (Aus den wenige Jahre später entstandenen TV-Abenteuern um das „Raumschiff Enterprise“ wissen wir, dass Außerirdische auch ohne Spezialeffekte auskommen können.)
Auf der Rückseite des grabplattendicken, querformatigen Buches wird „Eternauta“ als „eines der wichtigsten Bücher Argentiniens“ gerühmt. So hoch es zu preisen ist, dass uns der Avant Verlag diese exotische Kostbarkeit endlich zugänglich machte, so schwer sind die editorischen Nachlässigkeiten nachzuvollziehen. So wäre es beispielsweise (bei allem Respekt vor dem Material) hilfreich gewesen, die Texte – vor allem den Erzählerteil – kräftig zu straffen. „Eternauta“ war ein Fortsetzungs-Comicstrip, und so wimmelt es darin von Funktionstexten – Wiederholungen, Rückverweisen und Erläuterungen -, die den durchgehenden Lesefluß ausbremsen. Weiterhin sind die Umbrüche innerhalb der Texte, die von einem Panel ins nächste laufen, äußerst ungeschickt gewählt. Auch das mag mit der Originalfassung zusammenhängen, es wirkt aber in jedem Falle ungelenk und vermittelt den Eindruck, mit diesem Arbeitsschritt könnten Mitarbeiter befaßt gewesen sein, die mit Comics nur von Berufs wegen etwas am Hute haben.
Die besseren Einfälle der Geschichte gehen fast alle auf das Konto des Autors Oesterheld. (Wer sich vor Spoilern fürchtet, kann einem recht harmlosen durch das Beenden der Lektüre an dieser Stelle ausweichen.) Einige der Weltraum-Rassen, die unseren Helden von den Invasoren als Vorhut gesandt werden, sind Wesen, die sich „die Hände“ nennen. Sie haben eine überaus originelle verwundbare Stelle: ihre Herren haben ihnen eine todbringende Drüse eingepflanzt. Sobald sie sich aus der Ruhe bringen lassen und Angsthormone produzieren, reagiert das Sekret dieser Drüse damit, und ein tödliches Gift ergießt sich in ihre Blutbahn. Den so Verwundeten bleibt nur noch, einen Abschiedsgesang anzustimmen und die letzte Reise anzutreten.
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* siehe dazu den Blog vom 14.10.2015
Monty, Dein Sternchen verweist auf einen Blog-Eintrag in der Zukunft. Fehler oder Vorfreude-Erweckung. LG