Die Götter neben ihm

betr.: zum 4. Todestag von Gore Vidal

Der Schriftsteller Gore Vidal war ein Glückskind, ein Überflieger wie aus dem Bilderbuch: er hatte verwandtschaftliche Verbindungen zum Kennedy-Clan und war außerdem Drehbuchautor, Schauspieler und Politiker. Trotz der Mitwirkung von Charlton Heston gelang es ihm, homosexuelle Untertöne in den Historienschinken „Ben Hur“ hineinzumogeln.
An seiner sarkastischen Pfiffigkeit besteht kein Zweifel, aber dass er zeitweise als großer amerikanischer Erzähler betrachtet wurde, hat eher mit Tratsch als mit Literatur zu tun. Zu Vidals Glamour-Faktor hat auch seine zeitweilige Freundschaft mit dem etwa gleichaltrigen Truman Capote beigetragen, einem wahrlich großen Erzähler, der aus sehr einfachen Verhältnissen stammte.
Die beiden schmückten sich einige Jahre miteinander und als hübsches exotisches schwules Duo (kein Liebespaar) manche New Yorker Party. Ihre Rivalität um den Rang des Enfant terrible der amerikanischen Literaturszene war ein Spiel, bis sie sich eines Tages in der Wohnung von Tennessee Williams aus Versehen einmal gegenseitig literarisch analysierten. Sie zerstritten sich heillos und für immer, worüber sich Williams totgelacht haben soll.

VIDAL
Gore Vidals Motto: Ein möglichst langes Leben bewirkt zeitweilige Unsterblichkeit.

Capote hatte Vidal künstlerisch bald überflügelt, aber er machte einen – auch für seinen Nachruhm – schlimmen Fehler: Er erlag den Folgen seiner Exzesse schon mit Ende 50. Vidal überlebte ihn um fast 20 Jahre und erfüllte einen seiner (von Capote gern zitierten) Wahlsprüche: „Langlebigkeit ist die Lösung. Wenn du lang genug lebst, wendet sich alles zu deinen Gunsten.“ Das ließ ihm noch viel Zeit, die Dinge aus seiner Sicht zu darzustellen.
Vidal blieb als Zeitzeuge und Kommentator gefragt und fand – unabhängig von der Erkennbarkeit eines tatsächlichen Standpunktes – immer Wege, sichtbar zu bleiben und gehört zu werden. So unterzeichnete er einerseits einen offen Brief an Bundeskanzler Kohl, in dem die „Diskriminierung“ der Mitglieder von Scientology in der Bundesrepublik mit der Judenverfolgung im Dritten Reich verglichen wurde, ließ sich aber andererseits nicht nehmen, den Sektengründer L. Ron Hubbard der Ausstrahlung von „Übel, Arglistigkeit und Dummheit“ zu bezichtigen.
In seinen 1995 erschienen Memoiren „Palimpsest“ wimmelt es von Psychogrammen seiner Mitwelt, die denen Capotes in puncto Garstigkeit nicht nachstehen, die zu lesen aber weitaus weniger amüsant ist. Wer alles kurz und klein schlägt, wird zwischendurch auch mal den Richtigen erwischen.

In einem seiner letzten Statements zu seinem zeitweiligen Weggefährten Truman Capote versuchte Gore Vidal den Eindruck zu erwecken, diesen Emporkömmling gar nicht erst an sich herangelassen zu haben. Von den Jahren und vom Schmerz über seines Lieblingsfeindes schriftstellerische Begabung sichtbar gezeichnet und beladen, erzählte er: „Ich hatte keine Brille auf, ich sehe nicht gut. Ich setzte mich nieder auf etwas, was ich für eine Ottomane hielt, und es war Capote. – Das ist echt wahr.“
Capotes späte Bemerkungen zu Vidal lesen sich so: „Ich bin nicht der Meinung, dass ein Schriftsteller den anderen verklagen sollte.“

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