Noch mal davongekommen!

betr.: 99. Geburtstag von Dik Browne

Wie das meiste, was für mich als Heranwachsenden von Bedeutung war, lernte ich auch die Mythen des Nordens durch Comics kennen. Die wichtigsten davon sind inzwischen von der Unterhaltungsindustrie der Neuzeit geschändet worden wie von einer Barbarenhorde: „Wickie und die starken Männer“ und der Marvel-Donnergott „Thor“. Durch ein rechtzeitiges Versinken ins Vergessen haben sich „Ragnar der Wikinger“, dessen Abenteuer ich in den „Yps“-Heften verfolgen konnte, und ein seinerzeit irre erfolgreicher Knollennasen-Strip, „Hägar der Schreckliche“, dieser Defloration entzogen.
“Hägar“ war mir nicht ganz so lieb und teuer wie die anderen Nordlichter, und er reichte nie an die poetische Virtuosität der Zeitungscomics von Bud Blake heran, aber ich mochte seinen schlichten und doch so welthaltigen Zeichenstil.

Sein Erfinder Dik Browne aus Wilton / Connecticut, den die Wikipedia nur in dürren Notizen würdigt (wie gesagt: ein Vergessener), war ein Familienvater, der Mühe hatte, seine Augenarztrechnungen zu bezahlen, bis ihm Ende 1972 die Idee kam, ein stilisiertes Selbstportrait (das auch noch den Namen trug, den seine Kinder ihm gern hinterherriefen) zum Helden eines Comics zu machen. Das King Features Syndicate jubelte, dass schon vor dem ersten Erscheinen von „Hägar The Horrible“ am 4. Februar 1973 136 Zeitungen zugeschlagen hatten. Als er startete, war die 200er-Marke geknackt, fünf Jahre später die 1000er-. Die Auflage stieg weiter.
Zusammen mit Mort Walker schuf Browne noch das Elternpaar „Max und Mizzi“, das in meiner Lieblings-Fernsehillustrierten als „Familie Gong“ auftrat.

Natürlich war Hägar ein brandschatzender Freibeuter der netten Sorte. Wie auch Wickies Vater Halvar von Flake, dem der noch schrecklichere Sven gegenübergestellt wurde, gewöhnte sich Hägar die schlimmsten Wikingermarotten frühzeitig ab. Dik Browne erzählt: „In einer der ersten Episoden war er damit beschäftigt, eine Maid zu entführen – ein beliebtes Hobby der Wikinger. Meine Teenager-Tochter Sally war schockiert. ‚Das ist  nicht witzig, Vati! Das ist ein VERBRECHEN!’ Naja, das war das letzte Mal, das Hägar eine Maid entführte.“

Moment, das stimmt ja. Eigentlich sind diese Wikingergeschichten ja wirklich nicht zum Lachen!
Was sagt die einschlägige Fachliteratur dazu?

Im 8. und 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung waren die Wikinger der Schrecken des Nordmeeres, die Geißel der Menschheit. Sie verehrten Odin, einen heidnischen Kriegsgott, und nutzten ihre Geschicklichkeit als Schiffsbauer, um von der Enge des Fjords und ihrer schnee- und eisbedeckten Gletscher aus auf Raubzüge auszuziehen, die an Gewalt und Brutalität alles übertrafen, was die Geschichte bis dahin gekannt hatte. Der heiligste Wunsch eines jeden Wikingers war es, mit dem Schwert in der Hand zu sterben, um in Walhall aufgenommen zu werden, wo Gott Odin ihn als Helden willkommen hieß.
Der Kompass war damals noch unbekannt. Deshalb konnten sie sich bei ihren kühnen Seefahrten nur nach der Sonne oder den Sternen orientieren. Wenn sich Nebel bildete, waren sie blind und hilflos. Außerdem war die Erde nach der damaligen Vorstellung eine flache Scheibe, und wenn man zu weit vom Kurs abkam, so konnte man vom schwarzen Wind gen Westen getrieben werden, wo das Giftmeer lag, und über den Rand der Welt hinabstürzen ins Totenreich der Göttin Hel.
Ihr höchstes Ziel war es, England zu erobern, das damals aus einer Anzahl kleinerer Königreiche bestand, von denen jedes der eifersüchtige Rivale des anderen war. Wenn die Wikinger zu ihren Raubzügen gen England aufbrachen, segelten sie immer in Sichtweite der Küste. Sie beschränkten ihre Angriffe auf plötzliche nächtliche Überfälle. Es ist kein Zufall, dass das englische Gebetbuch jener Zeit den Satz enthielt: „Beschirme uns, o Herr, vor dem Zorn der Nordmänner!“

Mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung!

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Eine Antwort zu Noch mal davongekommen!

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