Die schönsten Comics, die ich kenne (2): „Li’l Abner“ am Sadie-Hawkins-Tag

betr.: 37. Todestag von Al Capp

„Li’l Abner“ in „Lauf um dein Leben!“
Text und Zeichnungen: Al Capp
(erschienen als Tageszeitungs-Comic-Strip 1951, deutsch 1975 bei Carlsen)

Ein Satiriker, dem es gelingt, in seiner Glanzzeit weltweit in 1000 Zeitungen abgedruckt zu werden und sogar die Folklore seines Landes zu bereichern, um in der Nachbetrachtung der Sekundärliteratur vor allem Prügel zu beziehen, hat offensichtlich ins Schwarze getroffen. All Capp schaffte das mit seinem Comic-Strip „Li’l Abner“. Hier wurde wirklich alles und jeder eingeseift: sämtlichen Ethnien und Institutionen, jedweder Lebensentwurf, die Medien, die Tradition, die amerikanische Gesellschaft an sich. Er habe die Torheit dort gesucht, wo sie zu finden war, antwortete Capp, als er einmal eine Gruppe verärgert hatte, die auf seine Attacke offensichtlich nicht gefasst gewesen war.

comic-strip-classics_fDieser amerikanische Briefmarkenblock vom 1. Oktober 1995 würdigt unseren heutigen Protagonisten unten links. Berücksichtigt sind Serien, die vor 1950 gestartet sind. (Erläuterungen siehe unten) – Copyright 1995 by United States Postal Service
„Li’l Abner“ spielt in Dogpatch, einem Kaff, das so abgelegen ist, dass seine Bewohner noch keine Elektrizität kennen. Der gut gewachsene Naturbursche Abner Yokum ist schlicht (wie die übrigen Bewohner auch) und gutmütig (was nicht auf alle zutrifft). Wacker erwehrt er sich der Annäherungsversuche seiner Verehrerin Daisy Mae, einer Marilyn-Monroehaften Superblondine, die mit ihrer tyrannischen Oma zusammenlebt. Das Böse dringt meistens von außen auf diese Idylle ein, aber mindestens ein Mann im Dorf ist wirklich durch und durch verdorben: Standesamt-Sam. Für bis zu acht Dollar ist er allzeit bereit, das Leben eines bis dahin glücklichen Mannes für immer zu ruinieren, indem er eine Ehe schließt …

„Li’l Abner“ erschien von 1934 bis 1977 und gelangte 1975 mit wenigen Abenteuern vom Anfang der 50er Jahre auf den deutschen Markt: in der Anthologie „Weltbekannte Zeichenserien“ und einer Ausgabe der „Spezial-Comics“ vom Carlsen Verlag.* Die Übersetzung war hoch zu preisen, besonders das stimmige Kauderwelsch der Hillbillies.

In meinem Lieblings-Abenteuer steht wieder einmal der Sadie-Hawkins-Tag vor der Tür: der alljährliche Heirats-Wettlauf. Jedes Mädchen / jede alte Jungfer, die an diesem Tag (dem 17. November) einen Junggesellen einfängt und bis Sonnenuntergang über die Torlinie zerrt, hat das Recht, sich vom Standesamt-Sam mit diesem verheiraten zu lassen. Daisy Mae wird von einer rassigen, löwenmähnigen Steinzeit-Frau außer Gefecht gesetzt (sie verstaucht ihr den Fußknöchel) und wird hilflos am Spielfeldrand sitzen müssen, während Cave-Woman und die übrigen Ladies ihrem Schwarm nachstellen. Li’l Abner ermahnt sich zum Optimismus, nachdem ihm das Orakel Old Mose versprochen hat: „Du wirs gerettet! Von Orson Wells!“ – „Nett von ihm – aber wer is das?“ – „Die Vorhersage kommt mir wien Blitz! Niemand sacht mir, was gemeint is!“ Natürlich würde der Junge gern mehr erfahren, ehe der große Tag anbricht, aber niemand vermag ihm zu sagen, wer (oder was) dieser „Orson Wells“ sein soll.
Das Rennen beginnt – Standesamt Sam stellt den armen Männern zahlreiche Fallen, um seine Abschlussquote zu steigern. Abner wird von der bärenstarken Höhlenbewohnerin gepackt und zur Ziellinie geschleppt – da erfüllt sich die Weissagung tatsächlich in allerletzter Sekunde …

Die Freude über diesen Sieg sollte unser Held nicht mehr lange genießen können. Im Jahr 1952 heirateten Li’l Abner und Daisy Mae, was von den US-Massenmedien aufmerksam verfolgt und kommentiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde an zahlreichen amerikanischen Colleges und Universitäten der Sadie-Hawkins-Tag tatsächlich gefeiert. (Damit befindet sich Mr. Capp in der guten Gesellschaft von Joanne K. Rowling, deren Quidditch mittlerweile im Unisport angeboten wird.) Solcherlei Brauchtum hörte in den 60er Jahren allmählich wieder auf, als sich Al Capp, der alte Nihilist, in den Reihen der Studentenschaft durch allzu offenherzige Bekundungen ein paar Feinde machte. Wie so viele von uns wurde er im Alter zunehmend konservativ.

comic-strip-classics_brmDie Details zu den Briefmarken weiter oben (angepasste Anordnung).

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* Die betreffenden Bände 7 und 8 der Anthologie sind mühelos und für kleines Geld antiquarisch zu bekommen. Ein Teil des Materials wurde im folgenden Jahr im Magazin „Slapstick“ noch einmal nachgedruckt.

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