Die schönsten Filme, die ich kenne (35): „Der Agentenschreck“

In der versunkenen ZDF-ReiheDes Broadways liebstes Kind“ – in jenen 70er Jahren also, da man unter dem Begriff „Musical“ noch einen (alten) Film (im Fernsehen) verstand und nicht etwa ein (aktuelles) Bühnen-Ereignis – kam dieser Film nicht vor. „Der Agentenschreck“ wurde eher unter „Klamotte“ abgelegt. Er war eines der letzten gemeinsamen Projekte von Jerry Lewis und Dean Martin. In der seinerzeitigen Kinoauswertung hieß er „Maler und Mädchen“, im Original „Artists And Models“ – nicht zu verwechseln mit dem (unverfilmten) Bühnen-Musical von 1925.

Ich liebe den „Agentenschreck“ aus Gründen, die sich hier nicht alle aufzählen ließen – die Späße von Jerry Lewis, die Songs von Harry Warren, die Technicolor-Fotografie, die Künstlerviertel-Idylle, die pointierten Dialoge, die popkulturellen Anspielungen, den Soundtrack von Walter Scharf oder die souveräne Regie von Frank Tashlin …
Doch eine Production Number möchte ich stellvertretend hochleben lassen: „Innamorata“, das große Liebesthema von „Artists And Models“.
Dieser Song ist als mehrfache Parodie angelegt. Er nimmt die typische Tonfilmschnulze jener Jahre auf die Schippe, ist aber so solide gemacht, dass er sich in deren Repertoire nahtlos einreiht. „Innamorata“ ist außerdem ein typischer (wenn nicht der archetypische) Dean-Martin-Song, und Dean Martin trägt ihn auch erst einmal sauber und ordentlich vor: auf einer Dachterrasse in Greenwich Village. Er cremt Dorothy Malone den Rücken ein, ohne dass diese es zunächst mitbekommt. Shirley MacLaine sitzt (in ihrer zweiten Filmrolle) daneben und ist heimlich und unglücklich in Martins Partner verknallt, in Jerry Lewis.
Als Frau Malone den Urheber der Ölung bemerkt und sich von ihm küssen lässt, trollt sich Shirley MacLaine vom Dach. Zunächst einmal, um die Turtelnden nicht zu stören. Aber auch, weil es ihr wehtut, das Glück der anderen ungeküsst mit anzusehen.
Sie wiederholt den Song im Treppenhaus – und bis hierher könnte das Ganze eine seriöse Filmmusical-Szene der 50er Jahre sein (- falls es so etwas überhaupt gibt: eine seriöse Filmmusical-Szene der 50er Jahre).
Nun kippt die Nummer um – in die wüste Persiflage des MGM-Musicals, in die Karikatur einer romantischen Filmszene, in eine exakt choreographierte Slapstick-Orgie.

Shirley MacLaine ahnt nicht, dass Jerry Lewis ihre Gefühle erwidert, als sie traurig von der Dachterrasse kommt. Da poltert ihr Schwarm auch schon unbeholfen die Treppe herauf, ohne sie zu bemerken. Bepackt wie ein Maulesel ist er auf dem Weg zum Sonnenbaden. Shirley ist bei ihrem Liedvortrag gerade wieder am Beginn des Refrains angekommen. Diesen schleudert sie dem x-beinigen Knaben nun entgegen.
Jerry Lewis erschreckt sich zu Tode und wirft das Marschgepäck von sich: den Liegestuhl, die Sonnencreme, den Reflektor, sein Lieblingskissen, ein Comic-Heft …
Etwas ungehalten über diese dreiste Anmache schüttelt er sich und beginnt, seinen Kram wieder aufzusammeln. Gerade, als er das geschafft hat, setzt Shirley zum nächsten lauten Akkord an – wieder zuckt Jerry zusammen, und sein Krempel verteilt sich im Raum.
Weitersingend fällt Shirley nun über ihn her, zerbeult ihm lüstern das T-Shirt, während der schüchterne Junge völlig überfordert damit ist, dass seine Gebete endlich erhört wurden.
Noch einmal wird er seinen Plunder aufsammeln, die Flucht ergreifen und es diesmal beinahe bis aufs Dach schaffen …

Wer wissen will, was unsere Vorfahren unter dem Begriff „Entertainment“ verstanden haben, muss mindestens zwei Filmsequenzen auf Youtube aushalten können: „Make ’Em Laugh“ von Donald O’Connor und „Innamorata“ aus „Artitsts And Models“.

Dieser Beitrag wurde unter Film, Filmmusik / Soundtrack, Hommage, Kabarett und Comedy, Musicalgeschichte, Musik abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert