de Sade – Ein Zellenbesuch

betr.: 223. Jahrestag des Sturzes von Robespierre

Für den Marquis de Sade gibt es ausreichend Schubladen: er war Wirtschaftsanalyst, Zuchthäusler, Lokalpolitiker, Schauspieler, Nippelklemmer, ambivalenter Augenzeuge der Französischen Revolution, Libertin … und literarisches Ferkel natürlich (hätte er nicht geschrieben, wäre er nicht geblieben).
Sein Testament (sieben Jahre vor seinem Tode aufgesetzt) schloss de Sade aber mit dem Wunsch, vergessen zu werden: „Sobald das Grab zugeschaufelt ist, sollen Eicheln darüber gesät werden, damit in der Folge die Stelle besagten Grabes wieder bewachsen und das Gehölz wieder so dicht sei wie vordem und die Spur meiner Grabstätte von der Erdoberfläche verschwinde, so wie hoffentlich mein Andenken in der Erinnerung der Menschen gelöscht wird.“
Das verhinderten nicht nur seine Schriften, die im Laufe der letzten 200 Jahre immer wieder vergessen, neu entdeckt, diskutiert und unterschiedlich bewertet wurden, sondern auch der Sexualwissenschaftler Dr. Richard von Krafft-Ebing, der den Marquis in den Sprachgebrauch beförderte, indem er den Begriff „Sadismus“ von ihm ableitete.

Was gibt es Sachlich-Biographisches zu ihm zu sagen?
Donatien-Alphonse-Francois Marquis de Sade war der Sohn der sanften Laura und des Hugues de Sade. 1740 kam er in der Provence zur Welt, dem Land der Troubadoure. Der Knabe wurde von einem Domestiken zur Taufe gebracht und wuchs im Schloss seines Onkels quasi mutterlos auf. Diese Aufzucht und Pflege durch Dienstpersonal war gleichwohl kein persönliches Schicksal, das ihn zwangsläufig zum Frauenhasser gemacht haben musste, sie war in aristokratischen Kreisen vollkommen üblich.*
Der Junge sah blendend aus und heiratete (keineswegs aus Liebe) nach seiner Teilnahme am Siebenjährigen Krieg die vermögende aber unansehnliche Renée-Pélagie. Er erhielt das Amt eines königlichen Statthalters und Gouverneurs. Auf Schloss Lacoste führte er ein ausschweifendes und finanziell nagendes Leben.
Am 18. Oktober 1863 kam es zu einer Situation, die uns im Rückblick prophetisch erscheinen muss: de Sade missbrauchte die junge Prostituierte Jeanne Testard, die sich für zwei Louisdor blutig auspeitschen lassen musste, während er auf ein Kruzifix onanierte. Daraufhin wurde er zum ersten Mal in seinem Leben verhaftet. Der zuständige Inspektor blieb dem Delinquenten in der Folge als fester Widersacher verbunden. Sein Name Marais („Sumpf“) ist auch der des Pariser Stadtviertels, das später so reich mit schwulen Fetisch-Clubs gesegnet war.
Das Mantra de Sades lautete: „ein jeder“ sei grausam und strebe danach, anderen Leid zuzufügen – das Gegenbild zu Rousseau und dessen Überzeugung einer im Prinzip guten Natur.
In seinen Schriften führte de Sade den aufklärerischen Gedanken einer Sexualität ohne alle Bevormundung ins Extrem. Und: „Die Gottesidee ist das einzige Unrecht, dass ich den Menschen nicht verzeihen kann!“

De Sade hatte Schwierigkeiten, Menschen unterhalb seines Standes als Artgenossen anzuerkennen. Sie waren so etwas wie Pflanzen, wie Gebrauchsgegenstände, die ihm zur Verfügung zu stehen und zu funktionieren hatten.
1768 kidnappte er in diesem Sinne die Elsässerin Rose Keller, die er auspeitschte und mit Ermordung bedrohte. Vier Jahre später ereignete sich etwas, das heute in zwei konkurrierenden Versionen wiedergegeben wird. In der ersten mieteten de Sade und sein gleichaltriger „Sekretär“ und Gespiele in Marseille zwei Prostituierte, die sie mit schmerzstillenden und lustfördernden Dragees für den Analverkehr gefügig machten. Ehe diese potenziell tödliche Mischung tatsächlich zu Todesopfern führte, was die beiden Lüstlinge in Kauf genommen hatten, wurde de Sade verhaftet – abgeurteilt von einer bigotten Feudalgesellschaft, die sich hier einen wohlfeilen Sündenbock wählte. In einer 1990 erschienenen Biographie wird erzählt, es habe sich bei den Drogen lediglich um ein Aphrodisiakum gehandelt – Kekse mit zerstoßenen Käfern – an dem sich eine der Damen so gut sattgegessen hat, dass sie sich schließlich übergeben musste.
De Sade saß zwischen 1788 und ’90 in der Festung von Vincennes und in der Bastille ein. Erst mit der Französischen Revolution kam er wieder frei. Heute vor 223 Jahren war er – ein Angehöriger des Ancien Régime, das er persönlich verachtete, auf dessen Privilegien er aber nicht verzichten mochte – als Guillotine-Opfer eingeplant, doch der Sturz Robespierres ließ ihn noch einmal davonkommen. De Sade erlebte die restlichen Revolutionsjahre als freier Bürger und war kurzzeitig als Richter sowie als Sekretär der jakobinischen „Piken-Sekte“ tätig. In jenen Zeiten stand ihm seine jüngere Geliebte Marie-Constance bei.
Offiziell unterstützte er die Revolution, lehnte jedoch deren Gewaltorgien und insbesondere die Todesstrafe ab.

1797 erschien das zehnbändige Werk „Justine“, das einen Skandal auslöste. Der Autor bestritt die Urheberschaft, wurde jedoch 1801 verhaftet und zwei Jahre später trotz geistiger Gesundheit in die Irrenanstalt von Charenton eingeliefert. Er fand im dortigen Direktor einen Förderer und Veranstalter, der ihm nicht nur das Schreiben und Theaterspielen erlaubte, sondern ihm aus Paris sogar Publikum zuführte.
Am 2. Dezember 1814 starb der Marquis als Insasse in Charenton.

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* Die Verpimpelung unserer Jugend durch Helikopter-Muttis und einen nach außen hin nachwuchsvergötternden Zeitgeist ist eine Erfindung des 3. Jahrtausends. Der „Simplicissimus“-Satiriker Thomas Theodor Heine beschreibt in seinem wieder neu aufgelegten Lebensroman „Ich warte auf Wunder“ von 1941 gleich zu Beginn, wie vollkommen wurscht der eigene Nachwuchs noch den besseren Kreisen im Wilhelminischen Berlin gewesen ist.

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