Blutige Ernte

betr.: 35. Todestag von Henry Fonda

Die Szene gehört noch heute, da wir das Allerschlimmste gewohnt sind, zu den entsetzlichsten Situationen der Filmgeschichte: als letzter Überlebender kommt ein kleiner rothaariger Junge mit einem Einmachglas aus dem Haus seiner Eltern gelaufen, von den Schüssen angelockt, die soeben seine Familie hingemordet haben. Er blickt dem Anführer der kleinen Gruppe manteltragender Männer ins Gesicht, deren Gewehre noch qualmen.
Die Kamera zeigt ihn uns von hinten und fährt dann langsam um ihn herum. Wir sehen, dass er beim Anblick des Kindes lächelt, was wir als ein Zeichen der Rührung deuten möchten, denn könnte das nicht die Rettung des Jungen sein? Die Zeit reicht gerade für solch sentimentalen Unfug, da spricht einer der übrigen Schützen den lächelnden Killer mit seinem Namen an. Der spuckt aus, verpasst dem Kollegen einen kurzen Anschiss, richtet seinen Revolver auf den Jungen – der die ganze Zeit wie erstarrt war, dessen Gesicht aber Bände sprach – und drückt ab.
Dazu spielt Ennio Morricone das buchstäblich gewordene „Lied vom Tod“, das diesem Film seinen deutschen Titel gab, eine Musik, die präzise auf den Verlauf dieses Showdowns geschneidert ist und die dennoch auch als reines Hörerlebnis um die Welt ging.

Kaum zu glauben, dass diese Szene, mit der „Once Upon A Time In The West“ – und damit ganz große Siegeszug des Spaghettiwestern – beginnt, noch fürchterlicher sein könnte. Aber sie war es.
Sie war es für das Premierenpublikum von 1968.
Der alte, speckige unrasierte Kindermörder mit den klarsten und blauesten Augen, die der Farbfilm bis dato hervorgebracht hatte, war nämlich ein Schauspieler, mit dem man bis dato die Grundanständigkeit selbst identifiziert hatte, die fleischgewordene Vaterfigur von god’s own country: Henry Fonda. Dass er es ist, der soeben die Abschlachtung einer Farmerfamilie geleitet hat, erkennen wir erst, wenn die beschriebene Kamerafahrt uns sein Gesicht zeigt, vielleicht eine knappe Minute, bevor er auch noch auf uns und den Jungen anlegt.

Selten ist außerhalb eines Hitchcockfilms so lüstern und sadistisch mit der kollektiven Zuschauererwartung gespielt worden. Möglich ist so etwas nur mit einem Schauspieler, der intensiv ein bestimmtes Rollenfach gepflegt hat, idealerweise ein positives.
Mit Henry Fondas Pistolenschuss geht aber nicht nur sein eigenes Image flöten – Fonda sollte in der Folge noch hin und wieder als Miesling in Erscheinung treten und bald darauf von seinem Sohn (ebenfalls Filmstar) in einem Enthüllungsbuch als Vater und Mensch zerlegt werden. Der Archetyp des unfehlbaren Papis, der es schon richten wird, war in den späten 60er Jahren ganz allgemein im Zerbröseln begriffen. Vielleicht hat dieses Klima Henry Fonda die Entscheidung erleichtert, die Früchte seines Lebenswerks auf so blutige Weise zu ernten.

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