Die wiedergefundene Textstelle: „Stört Sie die Musik?“ aus „Philadelphia“

betr.: 150. Geburtstag von Umberto Giordano

Einer der aufsehenerregendsten Filme der frühen 90er war das AIDS-Drama „Philadelphia“. Es war nicht der erste Film über diese Krankheit und auch nicht das erste Mal, dass amtierende Hollywoodstars den Mut hatten, als Homosexuelle aufzutreten, aber er steht doch am Anfang einer Entwicklung, die in den folgenden Jahren ins andere Extrem umkippte: für einige Zeit gehörte es geradezu zum guten Ton, in einem Mainstream-Film einen Schwulen zu spielen. (Tom Hanks erntete für diesen Auftritt einen von zwei aufeinanderfolgenden Oscars!) Ein Lebensentwurf, der kaum fünf Jahre zuvor von weiten Teilen der unbescholtenen Gesellschaft noch zwischen Halbwelt und Klapsmühle verortet wurde, war auf dem Weg in die Mitte ebendieser Gesellschaft. Verblüffenderweise ging mit „Philadelphia“, in dem die Aspekte „AIDS“ und „Homosexualität“ noch einmal intensiv aufeinander bezogen werden, auch die Zeit zuende, in der dieser Zusammenhang zwangsläufig hergestellt wurde. 

Für mich persönlich war eine Szene besonders wichtig, in der das Konzept „Ich Homo, du Jane“ auf einer symbolischen Ebene aufgelöst wird. Tom Hanks spielt seinem strammen Hetero-Anwalt eine Callas-Arie vor und beerdigt damit (unbewusst) die Tradition, in der die meisten Homosexuellen noch „Operntunten“ waren.
Lassen wir den gesellschaftlichen Aspekt beiseite und brechen wir die Szene auf das kulturelle Moment herunter, habe ich selbst mich unzählige Male in dieser Situation befunden – wenn ich meine Webber-hörenden Musicalstudenten für Cole Porter zu öffnen versuchte, wenn ich beim Filmabend mit Anatole Litvak um die Ecke kam oder wenn ich einen Comicfreund bekehren wollte, der in Frank Miller einen Erneuerer des Comics erblickte.

Ich will ehrlich sein: die Filmszene, in der Tom Hanks als Todgeweihter die Callas hochleben lässt, funktioniert für mich nicht – zu viele unterschiedliche Individuen haben daran mitgewirkt, um überzeugend einen Augenblick von so konzentrierter Innerlichkeit zu schaffen. Aber sie legt sich mächtig ins Zeug und hat eine edle Absicht. Und könnte sie nicht dem einen oder anderen Kinobesucher klammheimliche Lust auf einen Abweg vom Mainstream gemacht haben? Ich werde es wohl nie erfahren.

Dies ist der Monolog, den Tom Hanks während und über „La Mamma Morta“ hält.
Im Anschluss finden Sie die betreffende Passage aus dem Klavierauszug als PDF – falls Sie auch diesen Text noch einmal genauer studieren möchten.

         Andrew Beckett: Stört Sie die Musik? Mögen Sie Opern? Das ist meine Lieblingsarie. Das ist Maria Callas. Das ist „Andréa Chenier“ von Umberto Giordano. Das ist Maddalena.

(Er macht lauter.)

Sie erzählt davon, wie während der Französischen Revolution der Pöbel ihr Vaterhaus in Brand steckte und wie ihre Mutter starb, um sie zu retten.
„Es brannte der Ort, wo meine Wiege stand. Ich war allein.“
Hören Sie das Herzeleid in Ihrer Stimme? Können Sie es fühlen, Joe?
Aber jetzt setzen die Geigen ein, und alles wird anders. Die Musik erfüllt sich mit Hoffnung.
Aber gleich wird es wieder anders, hören Sie!
Hören Sie. „Ich bringe Unglück über die, die mich lieben!“
Oh – das einzelne Cello!
„In diesem Schmerz kam die Liebe zu mir! Eine Stimme voller Harmonie.
Sie sagte: ‚Lebe weiter! Ich bin das Leben! Der Himmel ist in deinen Augen!
Alles um dich herum ist nur Blut und Schlamm!
Ich bin göttlich! Ich bin das Vergessen! Ich bin der Gott, der vom Himmel zur Erde herabsteigt, um aus der Erde einen Himmel zu machen.
Ich bin die Liebe! Ich bin die Liebe!‘“

La_Mamma_morta_Andrea_Chenier

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2 Antworten zu Die wiedergefundene Textstelle: „Stört Sie die Musik?“ aus „Philadelphia“

  1. Anetta sagt:

    Danke für den tollen Beitrag!!

  2. Markus Maiwald sagt:

    Die Musik stört nicht, sondern beide Szenen ergänzen sich – eine traumhaft schöne Szene!

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