Die Last mit der Ferne

betr.: Zeit der Urlaubsplanung

Obwohl wir am selben Tag Geburtstag haben und somit exakt das gleiche Sternzeichen besitzen, hätte ich bis zu einem mehrseitigen Artikel im „Zeit Magazin“ vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten, dass mir Leander Haußmann einmal aus dem Herzen sprechen würde. Seither habe ich ihn in die Sammlung der prominenten Fürsprecher für jene meiner Schrullen aufgenommen, über mein engeres Umfeld zuweilen den Kopf schüttelt.
Sein Anti-Reise-Plädoyer beginnt mit dem erleichternden Hinweis „Ich bin freischaffend, mir steht gar kein Urlaub zu“ und setzt gegen Ende zu der sehr rhetorischen Frage an: „Wo, bitte schön, bekommt man mehr Luxus als in den eigenen vier Wänden?“

Dazwischen wird bereitwillig von den Frustrationen des Verreisens allein und mit der Familie, ins befreundete sozialistische Ausland und später in den sehnsuchtsvoll hochgejazzten Rest der Welt berichtet, im Familienwagen, zu Fahrrad, per Flugzeug oder Ozeandampfer. Alles grauenvoll und vor allem: überflüssig. Zum Glück habe ich das meiste davon entweder nie tun müssen oder einfach gleich seingelassen.
Haußmann schreibt über uns beide wenn er bekennt, „dass ich viele weitere reisefeindliche Eigenschaften vereine, wie mangelndes Organisiertsein, Orientierungslosigkeit, die Unfähigkeit, ein Kraftfahrzeug zu steuern, (…) (weitgehend) fehlende Fremdsprachenkenntnisse“ und erregt meine Identifikation auch in den wenigen kosmetischen Abweichungen, aus denen er gleichwohl die selben Schlüsse zieht, wenn er fortfährt: „ADHS und eine Körpergröße, die nicht für Linienflüge in der Holzklasse gemacht ist (die Diskriminierung von großen Menschen in Flugzeugen muss aufhören!)“. Er alpträumt von einer „Hochschule für Urlauberkunst“ und malt sich das Vorsprechen aus, bei dem sich herausstellt, dass die meisten Reiselustigen genauso orientierungslos, fahruntüchtig und monoglott sind wie wir zwei, ohne sich allerdings davon in ihrem Fernweh bremsen zu lassen. Zuletzt wird der Aspirant gefragt: „Lieben Sie die Natur?“ – „Nein.“
War ja klar.
Haußmann weiter: „Urlaub ist Ausnahmezustand, ich will aber keinen Ausnahmezustand!“
Sehr richtig.
Aber warum sind bloß alle übrigen Menschen so versessen darauf, zu verreisen? Das könnte daran liegen, dass sie nicht auf die Idee kommen, es sich daheim (wo man unterm Strich doch eine Menge Zeit verbringt) einigermaßen gemütlich zu machen.

In dem Theaterstück, in dem er erstmals als Lilo Wanders auftrat, sagte Ernie Reinhardt einst (wenn auch aus dem Munde einer anderen Figur) den erhellenden Satz: „Das Leben im Hotel hat seine Vorteile. Man erspart sich das Leben zu Hause.“

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