Die schönsten Filme, die ich kenne (43): „Das Waisenhaus“

Laura kehrt mit ihrem Mann zurück in ihre Heimat: ein ehemaliges Waisenhaus an der Küste, das sie wiedereröffnen möchte. Während des Franco-Regimes ein erwartbar unfroher Ort, soll es nun ein Hort der Freude werden. Es ist eine ziemliche Plackerei, das große Gebäude wiederherzustellen, doch die Idylle ist zunächst perfekt: die Eheleute sind ein gutes Team, und der kleine Simón fühlt sich wohl. Er weiß weder, dass er adoptiert ist noch von seiner HIV-Infektion. In einer der nahegelegenen Grotten, die Mutter und Sohn auf einem Spaziergang erkunden, freundet sich Simón offensichtlich mit dem Geist von Tomás an, der früher unter den Waisenkindern des Hauses ein entstellter Außenseiter war. Auch mit den übrigen Bewohnern von einst scheint er in einen regen Austausch zu treten, der Laura zunehmend unheimlich ist.
Am Tag der Eröffnung macht Simón seiner Mutter wegen der Geheimnisse Vorwürfe, die er von Tomás erfahren haben will. Kurz darauf ist er unauffindbar – und Lauras junges Unternehmen sogleich diskreditiert.
Laura, die den Geistern die Schuld am Verschwinden ihres Kindes gibt, weiht ihr Leben nun der Aufklärung dieses tragischen Ereignisses. Ihre Suche steigert sich zur Besessenheit und ist tatsächlich eines Tages von Erfolg gekrönt. Doch die Lösung des Rätsels ist gar nicht so übernatürlich wie zunächst angenommen …

Der letzte Akt eines Films ist immer der schwierigste – gerade, wenn es um Unheimliches und Übernatürliches geht. „Das Waisenhaus“ bringt das seltene Kunststück fertig, die Spannung behutsam aufzubauen und bis zur seiner ebenso grauenvollen wie einleuchtenden Auflösung zu halten.
Der Film bringt mich soweit, mich wie eine junge Mutter zu fühlen, deren Kind in Gefahr gerät.
Abgesehen von einem winzigen Splatter-Moment (in dem ein Verkehrsunfall geschildert wird) kommt „Das Waisenhaus“ völlig ohne Knall- und Spezialeffekte aus. Doch er schont die Nerven des Betrachters nicht.
Die schockierendste Szene ist besonders billig hergestellt: Während der Eröffnungsfeierlichkeiten trifft Laura im oberen Stockwerk des Hauses ein Kind, das eine  Sackmaske übergestülpt hat wie sie der kleine Tomás trug, um sein Gesicht vor den  anderen zu verbergen. Laura glaubt Simón vor sich zu haben, doch anstatt auf ihre Anrede zu antworten stößt er lediglich ein feindseliges Knurren aus. Als sie sich ihm nähert, entkommt er ihr, indem er ihre Finger in einer Tür einklemmt.

Auf zahlreichen Festivals mit Preisen überhäuft, erreichte „Das Waisenhaus“ in seiner spanischen Heimat bereits am Startwochenende über eine Million Zuschauer, war dort der kommerziell erfolgreichste Film des Jahres 2007 und wurde für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Im Werk seines Produzenten Guillermo del Toro war er kurz danach so unsichtbar und unauffindbar wie der kleine Simón. Wie konsequent in unseren Tagen kommerzieller Erfolg und Qualität einander ausschließen, mag uns der Umstand bewusst machen, dass Regisseur Juan Antonio Bayona danach in Hollywood „Jurassic World 2“ in Szene setzten durfte. Musste.

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