Casting

Gestern abend lauschte ich dem launigen Vortrag eines Gelehrten, der mir sehr bekannt vorkam. Es war aber nicht dieses uns allen wohlbekannte Gefühl, verrückt zu werden, weil wir uns nicht erinnern können, wo wir ein Gesicht hinstecken sollen. Ich wusste sofort, an wen er mich erinnerte. Und wer er tatsächlich war, wurde uns ja zur Begrüßung erzählt: jemand, den ich noch nie zuvor getroffen hatte. Doch bis in seinen österreichischen Akzent hinein – der Vortragende war abwechselnd in Österreich und Niederbayern aufgewachsen – glich er einem Kollegen, mit dem ich vor Jahren einmal kurzzeitig zu tun hatte.
Wäre mein Leben eine TV-Serie, dann hätte ein und derselbe Schauspieler diese beiden Herren verkörpern können, ohne sich verkleiden oder sonstwie verstellen zu müssen.
So etwas ist mir gestern natürlich nicht zum ersten Mal passiert: das Besetzungsbüro im Himmel ist ein ähnlich elitärer Kreis wie das auf Erden.

Dieser medienparodistische Effekt funktioniert auch umgekehrt. Manche Menschen, die man einige Jahre nicht gesehen hat, sind bis zur Unkenntlichkeit verändert, so als sei ihr ursprünglicher Darsteller gestorben oder hätte mehr Geld haben wollen. Und manch einer, der über einen längeren Zeitraum eine feste komische Nebenrolle gespielt hat, verschwindet plötzlich – wie aus dem Leben herausgeschrieben. Manchmal taucht er schemenhaft auf Facebook wieder auf, aber das könnte ja auch ein Fake sein.

Da kommt mir ein verstörender Gedanke. Schnell laufe ich ins Badezimmer um einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Puh – Glück gehabt.
Vertrag einstweilen verlängert.

Dieser Beitrag wurde unter Glosse, Medienphilosophie abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert