Ein Haufen toller Hunde

betr.: 100. Todestag von Léon Bloy

Die Metapher vom leeren Magen, mit dem die größten Werke geschaffen wurden, ist sarkastisch aber zutreffend. Das Wort „Werke“ steht für alle Kunst, der „leere Magen“ für jegliche Art von Entbehrung jenseits der uns so vertrauten Zivilisationswehwehchen – wie etwa die Zumutung, alt werden zu dürfen. Totalitäre Systeme sind ein zuverlässiger Nährboden für phantastische Literatur, wie die Russen uns immer wieder bewiesen haben, aber vor weniger als 100 Jahren war ganz Europa ein verheerter Landstrich, und wer imstande war zu formulieren, der konnte aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen.
Im Falle von Léon Bloy, der als Freischärler am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen hatte und dann in Armut weiterlebte, trug das Entsetzliche zwanzig Jahre später Früchte: in Form dreißig kurzer Erzählungen, die sich vor dem Hintergrund dieser Katastrophe abspielen. Sie sind in „Blutschweiß“ versammelt.*
Perverse Zeitläufte bringen selten nette Unschuldslämmer hervor: Bloy war ein erzkatholischer Patriot, der den Krieg nicht als Prüfung, als Heimsuchung betrachtete (das konnte er sich als Betroffener wohl nicht leisten), sondern als etwas Unvermeidliches, etwas „Heiliges“. Für das, was der Begriff „Heiliger Krieg“ heute bedeutet, sollten wir ihn dennoch nicht in Haftung nehmen.
In der Tat wehte mich beim Lesen dieser Geschichten stets Zeit- und Lokalkolorit an, aber niemals der Versuch des Autors, mich auf irgendeine Seite zu ziehen. Die Gräuel des Krieges werden niemals verherrlicht oder auch nur verharmlost, seine Absurdität nicht in Frage gestellt – im Gegenteil. Eine ganze eher handlungsarme Erzählung ist allein dem Schmerz einer einzigen Trauernden gewidmet, um die sich der müde Tross der Geschundenen klaglos herumwindet.
Immer wieder bleibt Zeit für Miniaturen, hinreißende Versager- und Verliererportraits, die uns aus unseren Tagen sehr bekannt vorkommen. Und diese Verlierer finden sich auf beiden Seiten der Front – je nachdem, wer sich im Einzelfall eine Blöße gegeben hat.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Humor. Jorge Luis Borges wird vom Verlag mit dem Hinweis zitiert, den Schwarzen Humor** habe „niemand (…) mit der Vollendung und dem Wortreichtum von Léon Bloy erreicht.“ Clemens Setz, der „Blutschweiß“ für die „ZEIT“ (positiv) rezensierte, traute diesem Urteil zunächst nicht recht und fürchtete, es könnte sich bei dem, was Borges amüsiert hat, um wuchernde Stilblüten gehandelt haben, unfreiwillige Komik zwischen weltgeschichtlicher Logik und wirklicher Erzählkunst. Ich, den eine findige Sprache beinahe zwangsläufig erheitert, hatte da niemals einen Zweifel. Die Bosheit, mit der Bloy beispielsweise einen entsetzlich unbegabten Maler beschreibt, dessen Hauptwerk – ein Bildnis zweier weinender Frauen – geeignet ist, Dutzende Preußen in eine tödliche Falle zu scheuchen, ist allerbestes literarisches Kabarett.

Natürlich gibt es vor allem reichlich Grand Guignol: durch all den Schlamm, über all die Leichenberge stapfen hünenhafte Mutanten des Krieges, wie sie Stallone oder Schwarzenegger gespielt haben könnten, aber auch Figuren, die in ihrer Kraft und Tumbheit eher an den Hulk erinnern; mitunter ist die Grenze fließend.
Bloys Geschichten sind in jeder Zeile saftig und haarsträubend – im Sinne eines wirklich fesselnden Leseerlebnisses – und doch sind sie das Gegenteil von Kolportage. Sie sind nicht recherchiert, sie sind miterlebt. Das ist eine rare Kombination.
Diese wusste auch ein späterer Fußsoldat zu schätzen: Heinrich Böll. „Das Blut der Armen“ war für ihn eine bleibende Lektüreerfahrung. Darin entwickelt Bloy – selbst oftmals an der Elendsgrenze – eine Theologie der Armut. Böll: „Er hat sehr viel über Geld geschrieben. Das Geld hat ihn ungeheuer beschäftigt. Die rein materialistische Bedeutung des Geldes, wie sie Marx analysiert hat, ergänzt er mit einer Metaphysik des Geldes. Weiterhin attackiert er einen bestimmten spießigen Katholizismus. Seine innerkatholischen Polemiken haben ganze Schriftstellergenerationen beeinflusst.“

In einer Literaturszene, in der Benjamin von Stuckrad-Barre uns in unserem führenden Nachrichtenmagazin allen Ernstes Udo Lindenberg als seligmachenden Philosophen hinhalten darf, heben mir Bloys Erzählungen für einen beglückenden Augenblick die Schädeldecke – einen belebenden Wind hindurchlassend, der auch die Seele streichelt -, um sie dann präzise wieder an ihrem Platz abzusetzen. Zurück bleibt ein mit den Plattheiten unserer digitalen Bequemlichkeit kurzzeitig versöhnter Leser, ein Getrösteter.

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* Matthes & Seitz, Berlin 2011
** … ein Ausdruck, der freilich erst später geprägt wurde.

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