So gesehen eine Mogelpackung

betr.: Sebastian Krämers neues Programm „Im Glanz der Vergeblichkeit – Vergnügte Elegien“

Sebastian Krämer betont, für sein neues Programm das Genre der „vergnügten Elegien“ – siehe Untertitel – eigens erfunden zu haben und liebäugelt im Titel noch deutlicher mit der Freude am Verfehlen und Danebenhauen. Als Zuschauer ist man von alledem in seiner Show wie üblich weit entfernt. Das Kopfkino des Publikums flimmert und brummt am Stück wie selten.
Reine Koketterie ist der Titel trotzdem nicht. Über seine erste Begegnung mit den Chansons seines späteren Lehrers Christoph Stählin im Alter von elf Jahren erzählte Sebastian Krämer kürzlich: „Es war ganz oft so, dass die Begeisterung für etwas, das ich gelesen oder gehört hatte – ob nun bei Franz Kafka, bei Billy Joel, bei Franz Schubert –, von dem Impuls nicht zu trennen war, es selber genausogut zu machen. Scheitern kann man dann ja immer noch.“ Das mag der Ursprung dieser Vielzahl von Sinnesreizen sein, der man bei ihm ausgesetzt ist.
Krämers Chansons rühren an Rezeptoren, die üblicherweise nicht Sache der Kleinkunst sind, man müsste sich dafür ins Ballett bemühen, in eine Ausstellung, auf eine Seefahrt oder zu einer Thai-Massage. Und selbst dort würde man darauf verzichten müssen, dass Martin Semmelrogge von einem Klapsmühlen-Bediensteten der Kopf abgetrennt wird.

Am Ende eines Krämer-Konzerts ereignet sich stets ein aufschlussreiches Ritual: der Künstler bittet den Saal um Zugabenwünsche, und die fallen jedesmal vollkommen unterschiedlich aus. Zwar hält die Wikipedia uns den „Deutschlehrer“ als Nippel zum Anfassen hin, aber diese Nummer ist nicht Krämers „Hossa“, dieser eine zwangsläufige, unvermeidliche Schlager – zumal sie die musikalischen Möglichkeiten ihres Autors gar nicht abruft.
Krämer liebt „Intrumentalteile zum Reinlegen“, und bietet sie auch selbst gerne an; auf seinen CDs hört man sie in famosen Orchesterarrangements. Was er über eine Kollegin sagte, gilt in besonderem Maß auch für sein Programm: „Das ist Musik, die auch ohne Deutschkenntnisse ins Blut geht, aber schaden kann es nicht, auch den Text zu verstehen.“
Musikalisch hat Sebastian Krämer keinen Personalstil, sondern schöpft aus einer umfassenden musikalischen Bildung und Inspiration, wie es sonst nur die Komponisten in der Blütezeit der französischen Filmmusik getan haben. Umso markanter ist sein Sound auf der textlichen Ebene.

Ich kenne keinen aktuellen Vortragskünstler, der sein Publikum so auf Trab hält – und vom dem es sich das so gern gefallen lässt. Ich muss an den berühmten Ausspruch denken, den Billy Wilder über Lubitsch getan hat: „Normale Regisseure sagen: ‚Eins und eins ist zwei‘, Lubitsch sagt nur ‚Eins und eins‘ und lässt die Leute selbst zusammenzählen.“ – Das ist nicht übel, aber nun raten Sie mal, wie es Sebastian Krämer macht …

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* Auflösung des gestrigen Rätsels: 1 E, 2 H, 3 D, 4 E, 5 B, 6 F, 7 A, 8 A, 9 C, 10 D, 11 E, 12 B, 13 F, 14 A, 15 F, 16 G, 17 E, 18 F, 19 A, 20 C, 21 C, 22 F, 23 H, 24 C, 25 F, 26 E, 27 F, 28 D, 29 B, 30 A

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