Was ist Inspiration? (2)

Forstsetzung vom 5.11.2018

Vor nicht langer Zeit sagte der Off-Sprecher einer Magazinsendung einen ganz ungeheuerlichen Nebensatz. Darin bezeichnete er die Bundesrepublik Deutschland als „das fortschrittlichste Land der Welt“. Superlative sind immer gefährlich, und dieser hier hat außerdem den strengen Geruch des Eigenlobs. Ich gebe: noch ehe ich bei dieser Formulierung hochanständig zusammenzucken konnte, nickte ich zustimmend. Wir Deutschen mögen „humorlos“ sein (stimmt übrigens nicht), bürokratisch und pinselig (stimmt zumindest bei mir) und welche der Klischees da noch sein mögen (Klischees sind bekanntlich wahr) – „wir Deutschen“ hinterfragen und optimieren uns mit einer Emsigkeit, die mir insgesamt sehr sympathisch ist.

Dass wir „im Herzen“ Europas leben und seit gut 70 Jahren keinen Krieg mehr auf unserem Boden austragen mussten, erfüllt mich jeden Morgen beim Aufwachen mit Dankbarkeit. (Das ist mein Ernst!)
Aber diese lange Zeit der Abwesenheit von defensiver Historie birgt eine Tücke für unsere Unterhaltungsindustrie: nicht auch unsere (Medien-)Autoren haben in der Regel noch nie einen Krieg erlebt. Die letzten Entertainer mit persönlicher Bombenerfahrung sind in den frühen 80er Jahren altersbedingt ausgeschieden. Seither herrscht in den Geschichten, die uns erzählt werden, zunehmend jener Alltag vor, dem ich eigentlich zu entrinnen wünsche, wenn den Fernseher einschalte / Kino, Theater, Event aufsuche / mich von Dritten unterhalten lasse.
Was erzählt man mir nun in Krimi, Soap, Kabarett und Comedy? – Wie dämlich man die Menschen findet, denen man im Alltag begegnet, wie sehr sie einem im Supermarkt, im Straßenverkehr, in der Haus- und Wohngemeinschaft auf die Nerven gehen. Was also erzählt man mir? Lauter Wohlstandsproblemchen, noch weitaus pupsiger und dröger als mein tatsächlicher Alltag. Wir wollen die Alternative nicht unerwähnt lassen: das große Reich des Kinderkrams (Fantasy, Feengeschichten u.ä.), in dem zwar Schwerter getragen und von bevorstehenden Schlachten geredet wird, doch ist die fehlende Kompetenz in diesen Fragen offenkundig. (Auch auf die hilfreiche Lektüre solcher Autoren wie etwa Joseph Conrad oder Leon Bloy wird zumeist verzichtet …)
Was tut das Publikum angesichts dessen? Es nimmt dieses gleichmäßige Brummen hin – schließlich hat es seit 70 Jahren keinen Krieg mehr austragen müssen und ist froh, wenn es mal nicht die eigene Partnerin / der eigene Partner ist, der im Haushalt nervt.

Bereits zu einer Zeit, als im Reich des Erfundenen noch wahrhaft paradiesische Zustände herrschten, wurde über dieses Problem nachgedacht.
In den 70er Jahren legte der Autor Hans Hubberten seiner Frau, der Entertainerin Gisela Schlüter, das Bonmot in den Mund: „Ein Fernsehautor muss in der Lage sein, einen brandaktuellen im Handumdrehen zu einem alten Hut umzumodeln!“
In einem seiner späteren Interviews* hat Alfred Hitchcock diesbezüglich von „Von-Spüle-zu-Spüle-Filme“ gesprochen: „Es ist wie mit der armen Hausfrau, die Geschirr spült, als der Mann von der Arbeit kommt. Er sieht seine ein wenig unglückliche Frau an und sagt: ‚Hör mal, Schatz, trockne deine Hände ab, und zieh dir ein schickes Kleid an! Wir besorgen einen Babysitter und gehen essen und danach in einen schönen Film.‘ Sie ist entzückt, legt ihre Schürze ab, der Babysitter kommt, sie gehen essen und ins Kino, und was müssen sie auf der Leinwand sehen? Eine Frau, die Geschirr spült.“

_________________
* 1972 im Gespräch mit Pia Lindstrom, der Tochter von Ingrid Bergman

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vicit“.

Dieser Beitrag wurde unter Fernsehen, Film, Literatur, Medienphilosophie abgelegt und mit , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert