Der Sprung vom Vulkan

betr.: 120. Geburtstag von Mischa Spoliansky

Berlins Jahre vor dem Nationalsozialismus sind der aktuelle „heiße Scheiß“ unserer Medienlandschaft – nachdem sich zuletzt lange mit dem Nationalsozialismus und dann (in noch sorgloserer Weise) mit der SED-Diktatur beschäftigt worden war. Zum unterhaltsamen Teil dieses Mythos vom „Tanz auf dem Vulkan“ haben vor allem die Interpreten, Musiker und Autoren beigetragen, die nach der Machtergreifung ins Ausland fliehen mussten, um der Vernichtung zu entgehen (oder die tatsächlich vernichtet wurden): die zumeist jüdischen bzw. homosexuellen Künstler der Berliner Kabarett- und Subkultur.
Mischa Spoliansky war einer von ihnen. Anders als gelegentlich zu lesen ist, hat er die damalige Stimmung nicht etwa nur „eingefangen“, er hat sie mitgeprägt.

Cabaret Berlin_Box_FSo schön festlich-verrucht wird’s nie wieder! – Die 4. der in dieser Box enthaltenen CDs ist Mischa Spoliansky gewidmet. Wie sich das für solche Editionen gehört, wird sein sinfonisches Filmmusikschaffen gänzlich ausgeblendet.

Der Sohn eines Opernbaritons und einer überhaupt sehr musischen Familie aus Bialystok (damals Russland, heute wieder Polen) gab zehnjährig in Dresden sein erstes öffentliches Klavierkonzert. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs traf er in Berlin ein und studierte dort am Stern’schen Konservatorium. Um sich das Studium zu finanzieren, spielte er mit einem Trio Salonmusik im „Café Schön“ Unter den Linden. 1920 zogen ihn die berühmten Kollegen Werner Richard Heymann und Friedrich Hollaender als dritten Klavierspieler für ihr Kabarett „Schall und Rauch“ hinzu und damit hinein in die Welt des Brett‘ls. Max Reinhardt beauftragte ihn mit der Komposition einer Theatermusik für „Victoria“ von W. Somerset Maugham – ein Erfolg. 1921 ging Spoliansky als Komponist und Begleiter an die „Wilde Bühne“, 1924 ans „Tütü“. 1926 war er musikalischer Leiter der „Bonbonniere“ in München.
Zu wirklichem Ansehen gelangte er durch die Zusammenarbeit mit Marcellus Schiffer, besonders mit der Revue „Es liegt in der Luft“, 1928 in der „Komödie am Kurfürstendamm“. Zu den Bühnenerfolgen, die heute noch im Munde geführt werden, gehört auch das Revuestück „Zwei Krawatten“ (1929).
Bereits 1933 setzte sich Spoliansky vor den neuen Machthabern nach London ab, wo ihm die Urheberschaft des Chansons „Heute nacht oder nie“ dabei half,  britischer Staatsbürger zu werden. Er schrieb weiterhin Revuen, doch wandte sich nun auch intensiv einem neuen Medium zu, wobei  er von der bemerkenswerten Schule profitierte, durch die er als junger Künstler gegangen war.

Saint Joan_FEin Spoliansky-Soundtrack für Otto Preminger. Das Cover-Design stammt unverkennbar vom Vorspanngestalter Saul Bass.

Der ungarische Emigrant Alexander Korda, über Jahrzehnte eine zentrale Figur der britischen Filmindustrie, machte Spoliansky zu seinem Musikchef und begründete damit dessen nächste Karriere als Soundtrack-Komponist. (Spoliansky-Songs waren freilich schon zuvor im Film gesungen worden.)

Mischa Spoliansky_BBC_F
Ein famoser Sampler von 2009

Bis 1973 sollte er für die Leinwand komponieren. Seine Versuche, nach dem Krieg kulturell wieder in Deutschland Fuß zu fassen, versandeten, denn das Klima im Nachkriegsdeutschland war keineswegs heimkehrerfreundlich. (Anat Feinberg hat dieser Problematik kürzlich das Buch „Wieder im Rampenlicht“ gewidmet.)
So blieb Mischa Spoliansky in London, wo er 1985 starb.

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