Pedro Almodóvar: „Realistische Filme interessieren mich überhaupt nicht!“

betr.: Beginn einer Pedro Almodóvar-Reihe auf arte

Der zweite bei uns gezeigte Film von Pedro Almodóvar war Ende der 80er Jahre „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Er geriet zum international erfolgreichsten spanischen Film aller Zeiten und zog ein US-Remake, ein Musical und beharrliche Versuche nach sich, den Regisseur nach Hollywood zu locken. Almodóvar fürchtete um den Verlust seiner künstlerischen Freiheit und widerstand, schenkte dem Kino jedoch Weltstars wie Antonio Banderas, Penelope Cruz und Javier Bardem. Eine noch größere Zahl von markanten Persönlichkeiten verblieben in seinem Ensemble in der Heimat, so z.B. die unbezahlbare Carmen Maura oder „das hässlichste Model der Welt“ Jossy de Palma.
Wer sich beim Nachdenken über diesen Regisseur nicht in schlingernden Wortvermeidungssätzen verstricken will, kommt um Klischees nicht herum – ein Phänomen übrigens, mit dem auch Almodóvar trefflich zu arbeiten verstand. Den Filmen sind seine Homosexualität, seine Subkultur-Vergangenheit sowie sein spanisches Geblüt jederzeit anzumerken (- die „Leidenschaft“ wird nicht nur in einigen Filmtiteln bemüht, sie gab auch seiner Produktionsfirma den Namen). Sex, Satire, Tod, Blut und schriller Slapstick können nicht ohneeinander.

Mit den Jahren ging der Schrillfaktor langsam zurück, und immer häufiger kam Almodóvar der Mehrheit entgegen, indem er starke Frauenfiguren das schwule Element sublimieren (und mit großer Geste scheitern) ließ. „La Mala Educatión“* ist ein Sonderfall. Obwohl ein typischer Almodóvar, ist es der einzige durch und durch zynische Film des Regisseurs (bei gleichbleibend wohliger Bildsprache), und Frauen kommen praktisch nicht vor. Es ist der einzige Film des kommerziellen Kinos, der unerklärt in einer komplett homosexuellen Welt spielt, nicht in einer Szene oder Subkultur, nicht im Reservat, auf einer Barrikade oder vor dem Hintergrund einer Realität, auf die er kritisch oder ironisch bezug nimmt. Schwulsein ist hier so allgegenwärtig, dass sogar die grausigen pädophilen Geistlichen etwas von ihrer Ungeheuerlichkeit verlieren.
Die Diseuse Georgette Dee erklärte damals, dieser Kinobesuch habe ihr klargemacht, wie sehr sie sich jahrzehntelang, in tausenden heterosexuell ausgerichteter Filme und Serien, als Betrachterin verleugnen musste – und sich dabei gar nichts gedacht hat.
Einen solchen Effekt der umgestülpten Selbstverständlichkeit – mit den Heteros als exotischen Vögeln – hatte zehn Jahre zuvor  Ralf König im Sinn, als die Verfilmung seines Comics „Der bewegte Mann“ anstand, doch der Regisseur drehte den Spieß wieder um.

„La Mala Educatión“ spielt hauptsächlich in zwei Welten: in der Filmbranche und in der hermetischen Gegenwelt einer Klosterschule. Es ist ein wendungsreiches, klug erzähltes Drama, doch die große Freiheit, mit der sich der renommierte Regiestar hier belohnt hat, bedeutet zugleich das Abhandenkommen von vielem, was seinen Stil auszeichnet. Hier ist kein Platz für Herz, Chuzpe, Selbstironie und Galgenhumor, kein Platz für Carmen Maura, Marisa Paredes und Victoria Abril, die den Horror der realen Welt abfedern könnten.
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* Auf arte am Mittwoch um 21 Uhr 50.

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