Sammler oder Nerd? – das ist hier die Frage

Was ist ein Nerd? Was ist ein Sammler? Und das beides nicht irgendwie dasselbe?

Kürzlich bezeichnete eine befreundete Komponistenwitwe ihren Mann als “Nerd“, und spontan hatte ich das Gefühl einer semantischen Unwucht. Nein, dachte ich laut nach, der Begriff passt nicht. Ein 1999 verstorbener Mensch kann doch kein Nerd sein, denn diesen Ausdruck gab es damals noch gar nicht. Doch, kann er wohl, denn ich bin ja als Schulkind auch ständig gemobbt worden, obwohl es das Wort noch nicht gab. Und Amerika existierte bereits lange, bevor Kolumbus es entdeckt hat.
Ich glaube, ich neige dazu, Musiker generell nicht zu den Nerds zu rechnen, weil sie sich – wenn es keine Jazzer oder andere Instinktbegabungen sind – naturgemäß nerdig verhalten müssen, um ihre Kunst zu beherrschen. So sind viele Musiker pingelig und pflegen die eine oder andere Sammlung (Noten, Aufnahmen, Biographien …).

Sind denn alle Sammler automatisch Nerds?
Nein, es gibt solche und solche. Und tatsächlich ist der Sammler-Nerd eine moderne Variante des Jägers und Sammlers, die es so ganz früher – als der Begriff noch nicht existierte – ebenfalls noch nicht geben konnte.
Ich bin ein Sammler, mein Kollege Rollo die (der sich auch als Sammler betrachtet) ist eher ein Nerd.
Wir beide sammeln Comics – das heißt: ich trage einzelne Comics heftchenweise zusammen; er kauft sich alle paar Jahre Editionen, komplette Sammelboxen. So ist in regelmäßigen Abständen bei ihm eine „Lucky Luke“-Gesamtausgabe fällig. Jede dieser „Sammlungen“ kommt fertig und lückenlos ins Haus und ist nach kurzer Zeit wieder unvollständig. Dann wird sie durch die neue Gesamtausgabe ersetzt, und die alte wird im Internet weiterverhökert. Möglicherweise hat er die letzte Version noch gar nicht ausgepackt, denn wir sind ja heute keine Jungs mehr, die überhaupt Zeit zum Lesen haben. Das trifft sich gut, denn Originalverpacktes erleichtert den Weiterverkauf. Das gilt nicht nur für Comics. Ebenso hält es Rollo auch mit seinen „James Bond“-Boxen, den „ultimativen“ „Star Wars“-Schubern und mit allerlei anderen Sachen.
Das hat für mich nichts mit Sammeln zu tun, weil zwei Dinge wegfallen (oder doch sehr vernachlässigt werden), die für mich in diesem Zusammenhang wichtig sind: das Zusammentragen und die tatsächliche Nutzung. Außerdem fehlt mir hier der philosophische Aspekt des Sammelns: die Bewahrung von etwas, das sonst unterginge.

Ein Fall aus meinem Freundeskreis hat sich sicher hundertfach abgespielt. In den 80er Jahren kamen in den USA die ersten VHS-Komplettausgaben von „Star Trek“ heraus, das wir als „Raumschiff Enterprise“ im Fernsehen verfolgt hatten. Nicht am Stück, da ja das ZDF erst nur eine Auswahl gezeigt hat, die SAT.1 später komplettierte. Ohne die Nazi-Folge natürlich, die lief gar nicht bei uns. Und es fehlten hie und da ein paar Szenen. Da war die englischsprachige Edition aus Übersee (79 Folgen auf 41 Cassetten inclusive des ersten Pilotfilms) doch eine dufte Anschaffung. Ein paar Jahre später kam die deutsche VHS-Mammut-Edition (mit eigens synchronisierter Nazi-Folge). Mein Freund hatte die US-Kiste noch gar nicht ausgepackt, als die deutsche bei ihm ankam. Und ebenso jungfräulich war diese, als dann die DVD-Variante kam (erst auf englisch, dann zweisprachig, wie sich das gehört) und jetzt ist ja sicher schon eine Blu-ray im Orbit. Ich weiß nicht, ob er sich die auch bestellt hat, oder ob er inzwischen ahnt, dass er sich diese in der Tat köstlichen Filmchen nie wieder mit feuchtem Kinderauge anschauen wird. (Inzwischen gibt es ja sogar alle Folgen mit überarbeiteten Effekten, also Stoff für weitere Definitiv-Ausgaben …)
Natürlich habe auch ich eine Star-Trek-Sammlung. Die Videos habe ich ausgemistet, und der Rest verteilt sich auf deutsche, englische und amerikanische Laserdisc und diverse DVDs. Eine Blu-ray ist auch dabei, aber das alles ergänzt sich gut.
Ich bin gewiss ein Nerd – aber nicht, wenn es um Comics und Filme geht. Da bin ich ein vernünftiger Spießer. Ich konsumiere diese Sachen tatsächlich – obwohl das den Wiederverkaufspreis herabsetzt.
Und ich sammle selbst. Das ist ja der Witz an der Sache.

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