Die Filmmusik und ich (1)

Soundtracks ohne Film dazu

Als ich Anfang der 80er begann, mein knapp bemessenes Taschengeld in Schallplatten umzusetzen – das war wenige Jahre, bevor die CD ihren Siegeszug antrat – kostete eine Single 5 Mark 50. Für eine Langspielplatte (ein Album) musste man das Vier- bis Fünffache investieren. Es sei denn, es handelte sich um Sampler „aus der Radio- und Fernsehwerbung“, die 10 Mark (bzw. 9 Mark 90) kosteten, wenn ich mich recht erinnere. Filmmusik-Tonträger waren hierzulande noch eine völlig exotische Angelegenheit. Dennoch waren meine erste Single und meine erste Langspielplatte Soundtracks (wenn auch solche aus dem Fernsehen)*. Bei der Single kam mir entgegen, dass die Titelmelodie der Serie „Der Mann in den Bergen“ eben die Charts gestürmt hatte, und so konnte ich „Maybe“ von Thom Pace (eines Sängers, der ein One-Hit-Wonder blieb) tatsächlich in meinen Besitz bringen. Schon bei dieser Premiere fiel mir etwas auf, was mich in den nächsten Jahren beim Sammeln von Filmmusik beständig ärgern sollte: die gekaufte Musik war grundsätzlich eine andere als die im Film.
Die reguläre Beschriftung „Original Motion Picture Soundtrack“ ist ein Euphemismus, mitunter sogar eine glatte Lüge. Im Falle von „Maybe“ stimmten immerhin Text und Interpret (was nicht selbstverständlich ist), doch die beiden Refrain-Töne des Liedes waren (zu ihrem Nachteil) verändert worden, vom Arrangement ganz zu schweigen. Dafür gab es auf der Single (die ja auf c. a. drei Minuten Länge kommen wollte) zwei Strophen statt der einen, die in den Serien-Abspann gepasst hatte. Das milderte meine Produktenttäuschung nicht.

Thom Pace-Covers„Meine“ erste Single mit Serienheld Dan Haggerty auf dem Cover (l.) und der Sänger Thom Pace auf seinem Nachfolgetitel. Seither ward er nicht mehr gesehen noch gehört.

In erster Linie interessierte mich allerdings die spätromantische Musik, die ich in älteren Filmen im Vorspann und unter dem Dialog hörte. So sehr ich mich über jede Platte freute, richtig zufrieden war ich nie. Immer fehlten einige Tracks (was sich aus den Platzgründen erklärte), und es fetzte auch weniger (was zumindest ein Stück weit mit der um ein Bild pro Sekunde gesteigerten Geschwindigkeit zusammenhing, in der ich die Filme im Fernsehen sah). Außerdem war das Arrangement auf der Plattenaufnahme oft wesentlich dünner, Chöre wurden verkleinert oder komplett gestrichen, längere Passagen gekürzt oder völlig umgebaut.
Mein erster Filmmusik-Dealer Richard Kummerfeldt – ich komme noch auf ihn zu sprechen – hat mir das so erklärt: wenn ein Soundtrack veröffentlich wird, müssen die Produzenten alle Orchestermusiker aufgrund gewerkschaftlicher Regelungen abermals bezahlen. Es ist also billiger, mit einer kleineren Besetzung nochmals ins Studio zu gehen, als einfach die Originalbänder zu benutzen.
Natürlich hing diese Neufassungs-Politik auch mit dem Umstand zusammen, dass eine Platte einfach ein anderes Medium ist als ein Film, und da wurde es mal wieder gut gemeint. Das Underscoring, dass sich naturgemäß sehr stark an der Handlung entlangbewegte, sollte dem üblichen LP-Schnitt der 60er Jahre angepasst werden: zweimal sechs Tracks pro Seite, und falls es einen Vokaltitel gab (der im Film auch rein instrumental vorkommen konnte)**, eröffnete dieser die zweite Seite.
All diese botanischen Erwägungen trösteten mich nicht, denn schließlich liebte ich die Filmmusik ja gerade wegen ihrer Unterschiede zur Popmusik.

Besonders deutlich wichen kurioserweise die Alben des poppigsten und auf dem Plattenmarkt überdurchschnittlich präsenten Filmkomponisten Henry Mancini, der ein überragender Songschreiber war**, von der Tonspur ab. Er legte praktisch jeden Soundtrack gleich zweimal vor, und es war ein sehr überraschendes und zweischneidiges Vergnügen, ihn zu sammeln. Sein Melodienreichtum war so überschüssig, dass mein Lieblingsstück auf der LP manchmal gänzlich fehlte, z.B. bei „Hatari“, wo eine sehr plattentaugliche Partynummer den (in der Tat beeindruckenden) afrikanischen Jagdskizzen weichen musste.
Doch es konnte noch weitaus schlimmer kommen.
Forts. folgt
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* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2016/01/05/ausgekichert/
** Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2015/05/10/bitte-nicht-hassen/

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