Ausgekichert

betr.: 36. Jahrestag der Erstsendung von „Timm Thaler“ im ZDF (letzte Folge).

Wer aus Anlaß des o.g. Vorwandes – oder einfach so – Lust hat, die Romanvorlage der legendären ZDF-Serie „Timm Thaler“ von 1979 (nochmals) zu lesen, dem wird ihr völliges Abweichen von der TV-Version ins Auge springen. Bis auf zwei nennenswerte Ausnahmen wurde das gesamte Figurenensemble ausgewechselt, und der Name eines der Übriggebliebenen wurde auch noch verändert. Im Buch heißt der Bösewicht, der dem jugendlichen Titelhelden sein Lachen abkauft, Lefuet – und fürchterlich ist der Augenblick, da Timm auffällt, das das rückwärtsgelesen „Teufel“ heißt. Der ZDF-Teufel heißt laut Abspann „de Lefouet“, was diesen hübschen Kalauer sabotiert, er wird aber ohnehin immer nur „der Baron“ genannt.
Da hört meine Kritik aber auch schon auf. Unabhängig voneinander waren das Buch von James Krüss und die Serie von Justus Pfaue ein großes Ereignis für mein heranwachsendes Herz. (Und Horst Frank in der Rolle des weltweit operierenden Finanzhais mit der Heino-Brille ist einfach denkwürdig!)

Timm Thaler_F

Meine erste Soundtrack-Langspielplatte war eine echte Hitparaden-Stürmerin: Christian Bruhns Musik zu „Timm Thaler“ (WEA MUSIK GMBH, LC 4281).

Im Buch gibt es eine Stelle, die mir seither immer wieder einfällt, wenn ich Schauspielern beim Weinen zusehe: Timm wird ins Marionettentheater mitgenommen, und er fürchtet, es könnte nun auffliegen, dass er nicht mehr in der Lage ist, zu lachen. (Das wäre nicht gut für ihn, wie man uns vorher erklärt hat …) Doch er findet eine verblüffende Lösung:

Der arme Timm saß wie ein Stein in einem Meer von Lachen. Die alte Frau Rickert neben ihm lachte so sehr, daß sie das Gesicht in die Hände nehmen und sich vorn überbeugen mußte, weil ihr vor Lachen die Tränen aus den Augen kullerten.
Da bemerkte Timm zum ersten Mal, wie ähnlich sich die Gebärden des Lachens und des Weinens sind. Und er tat etwas Schreckliches: Er nahm sein Gesicht in die Hände, beugte sich vornüber und tat, als lache er.
Und dabei weinte Timm.

Wie sich das für dieses Magazin gehört, habe ich noch ein Fundstück herausgesucht, eine Passage, die kurz vor der Veröffentlichung aus „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ herausgestrichen wurde. Sie fehlt am Ende des Kapitels „Der sechste Tag, Neunundzwanzigster Bogen: Vergessene Gesichter“ (in der mir vorliegenden Oetinger-Hardcover-Ausgabe von 1979 auf Seite 214 unten).
Der „sechste Tag“ ist der vorletzte der Geschichte, die Ereignisse steuern also gerade auf den Showdown und den Sieg des Guten über Horst Frank zu:

Doch Timm blieb mit großer Unruhe zurück. War auf Erwin wirklich Verlaß? Würde sein Stiefbruder tatsächlich dichthalten …???
Timm verbrachte unruhige Stunden. Die ganze Zeit ließ ihn ein Gedanke nicht los: Wie weit konnte er seinem Stiefbruder Erwin vertrauen?

Am Nachmittag traf Timm seine Stiefmutter und Erwin in einem Büro der Lefuet-Gesellschaft.
Unsicher blickte Timm die beiden an. Kannte die Stiefmutter – und womöglich auch schon Lefuet – das Geheimnis des winzigen Zettels, den der Junge von seinem Freund Jonny erhalten hatte?
Doch Frau Thaler redete von nichts anderem als von diesem Strandbad auf Jamaika. Ständig machte sie Erwin neue Vorschläge, wie sie dieses Unternehmen ausweiten wollte.
Doch Erwin schien ihr nicht zuzuhören
Timm glaubte, daß sein Stiefbruder einen Vorwand suchte, um mit ihm zu sprechen. Als Erwin wieder einmal verstohlen zu ihm herüberschaute, gab Timm ihm mit einer angedeuteten Kopfbewegung zu verstehen: Ich verlasse jetzt das Zimmer; bitte, komm mir unauffällig nach!
Draußen auf dem Gang blieb Timm stehen und wartete, ob Erwin ihm wirklich folgen würde. Und tatsächlich: nach etwa einer Minute wurde die Tür geöffnet, und Erwin trat heraus.
„Ich habe denen gesagt, ich müßte mal eben verschwinden“, flüsterte Erwin. „Ich wollte dir nur mitteilen, daß ich dir die Lupe besorgt habe. Sie liegt unter der Bank an der Alster, wie du es gewünscht hast.“
Erwin sah Timm nachdenklich an. Dann fuhr er fort: „Wir werden uns ja wohl eine sehr lange Zeit nicht mehr sehen. Du brauchst keine Angst zu haben wegen des Zettels. Ich schweige wie ein Grab.“ Und er streckte Timm seine Hand entgegen: „Ehrenwort!“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Lefuet trat heraus auf den Gang. Überrascht blickte er die beiden Jungen an.
„Sie wollten doch auf die Toilette gehen“, sagte er gereizt zu Erwin. „Sie befindet sich dort am Ende des Ganges.“
„Das habe ich meinem Stiefbruder gerade eben erklärt“, log Timm dem Baron vor. Er war durch dessen plötzliches Auftauchen überhaupt nicht erschreckt worden. Denn die Worte Erwins hatten bei Timm bewirkt, daß ihm ein Stein vom Herzen gefallen war. Er fühlte, daß jetzt der Endspurt zur Wiedergewinnung seines Lachens gekommen war.
Und niemand sollte ihn noch daran hindern, dabei der Sieger zu sein.

Im folgenden Kapitel „Dreißigster Bogen: Papiere“ heißt es am Ende des 2. Absatzes etwas hastig und in Klammern: „Timm sah die beiden auf diese Weise noch einmal, aber nur kurz. Erwin flüsterte ihm zu, daß die Lupe unter der Bank liege.“
Schon klar!
Bei der nächsten Lektüre des „Timm Thaler“ können Sie diese zwei Zeilen nun getrost überspringen.

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