Tut doch nicht so!

betr.: „Yesterday“ von Danny Boyle

Den Film „Yesterday“ habe ich noch nicht gesehen. Was mich davon abhält, diese Lücke in nächster Zeit unbedingt schließen zu wollen, ist etwas, worüber sich durchaus nachdenken lässt, wenn man nur die Kritiken im Feuilleton gelesen und mit einigen Augenzeugen gesprochen hat.
Nichts gegen den Plot: nur ein einzelner Mensch erinnert sich noch an die Songs der Beatles. Da er ein Nobody ist, der sie nun der Welt vorsingt, ist es „die reine Musik, die sich behauptet“ (SZ).

Der Auslöser ist recht prätentiös: ein weltweiter Stromausfall, ein Bus-Unfall, der den Helden – zufällig ein herumkrebsender Singer-Songwriter – durch die Luft schleudert, ohne ihn aber zu beschädigen, eine Welt, die den eigentlichen Unfall erlitten hat … Rod Serling* hätte das eleganter gelöst. Aber sonst mag ich das phantastische Element, diesen MacGuffin Zweiten Grades, wirklich gern. (Die gelegentlichen Leser dieses Blogs können das bestätigen.)
Was mich unbesehen verärgert, ist „der Vorwurf“ dieses Films. Es ist die Behauptung, dass so etwas wie das Genie der Beatles heute irgendjemanden interessieren würde, der nicht qua Allgemeingut mitbekommen hätte, dass es sich um eine Legende, ein Phänomen, schlichtweg um große Kunst handelt. Ohne ihren kommerziellen Erfolg und ihren historischen Status wären die Beatles für unsere Zeit nicht sonderlich sexy.
Um relevant zu sein (besser: um es heute werden zu können), bräuchte die reine Qualität der Songs das ganze übrige Drumherum: all diese Klatschgeschichten, den Charme der Pilzköpfe, den exakt stimmigen Ruch von Drogen und sonstigen Exzessen, der zur Einordnung in den „Rock’n’Roll“ berechtigt, die völlig andere Mentalität ihres ursprünglichen Publikums. Und nicht zuletzt: die Verknüpfung der Musik mit der eigenen Jugend, die für nachhaltige Popularität so wichtig ist und die einer Menschheit mit kollektivem Gedächtnisschwund nun mal fehlt.

Doch das Problem ist inhaltlicher Art. Ein Hype, der auch nur annähernd die im Film beschriebene Dimension erreicht, schert sich nicht mehr um „Tunes“ oder um eine Melodie. Die heutigen Fans wollen einen Groove, ein Sounddesign, einen Beat. Über all das verfügten die Beatles in reichlichem Maße, aber was sie schon damals zu diesem einzigartigen Phänomen machte, war, dass sie zusätzlich eben auch noch großartige Songs vortrugen.

Machen wir uns nichts vor: auch Mozart, Wagner oder Gershwin bekämen heute keinen Fuß mehr auf den Boden, wenn sie kein sehr zeitgemäßes Marketing hinter sich hätten. (Heino käme bombig zurecht, aber der war ja nicht, der ist noch …)
Die Welt ist gegenwärtig zu satt, um noch der Poesie zu bedürfen, und das ist ja keine schlechte Nachricht. Es ist dem Menschen zu gönnen, dass er jenseits von Klingeltönen keine Melodien mehr braucht. Ich frage mich nur: was soll die Heuchelei? Der sich abzeichnende Erfolg von„Yesterday“ verweist auf das allgemeine Bedürfnis, zu einem einig Volk von Schöngeistern verklärt zu werden – ähnlich dem ebenso legitimen Wunsch, zum „Slumdog Millionär“ aufzusteigen.

Wozu also der Grimm? Handelt es sich hier nicht bloß um ein Märchen, das wir uns nach so viel Freizeit-Stress und Selbstoptimierung einfach mal verdient haben?
Keineswegs. Es ist die Verlogenheit, die mich stört. „Yesterday“ ist kein Märchen, es ist wirklich der reine Kitsch.
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* Näheres zu ihm unter https://blog.montyarnold.com/2014/12/04/die-comedie-humanoide-des-fernsehens/

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