betr.: 57. Jahrestag vom Ende des Eichmann-Prozesses
Der Schriftsteller Joseph Kessel hatte schon Erfahrung mit großen Kriegsverbrecher-Prozessen, als er 1961 in Jerusalem dabei zusah, wie über Adolf Eichmann zu Gericht gesessen wurde. Was Kessel stets am meisten entsetzte und beschäftigte, war die durchgehend zu beobachtende Reuelosigkeit der Angeklagten. Auch Eichmann, der als „Referatsleiter für ‚Judenangelegenheiten‘ im Reichssicherheitshauptamt“ einen millionenfachen Mord organisiert hatte, war sich keiner Schuld bewusst und hatte stets nur „Befehle ausgeführt“. Sein Wunsch zu funktionieren und der Bürokratie zu gehorchen war ihm zur alleinigen Religion geworden.
Immerhin einmal beobachtete Kessel in den acht Monaten der Verhandlung in Jerusalem einen deutlich sichtbaren Augenblick der Scham des berüchtigten „Schreibtischtäters“.
„Ein einziges Mal ist er rot geworden und hat sich ertappt gefühlt. Als der Vorsitzende ihm eine Frage stellte und er vergaß aufzustehen. Der Vorsitzende sagte: ‚Erheben Sie sich bitte!‘. Dieser ungerührte, bleiche Mann errötete und sagte: ‚Entschuldigung!‘. Es war das einzige Mal im ganzen Prozess, dass er sich schuldig fühlte.“