Geschichte des Komiker-Handwerks (6)

Fortsetzung vom 24.3.2020

Mark Twain folgte Artemus Ward in der Funktion des „Comic Lecturer“ nach und perfektionierte sie. In der Essaysammlung „How To Tell A Story“ sind seine Überlegungen in schriftlicher Form versammelt. Er analysierte den Stil von Artemus Ward in einer Weise, die auch als Beschreibung seines eigenen modus operandi verstanden wurde. Als eine besonders wichtige „Platform Technique“ (er frönte ihr ausgiebig) bezeichnete er den gezielten Einsatz der Sprechpause und würdigte die Schwierigkeit, ihre Länge richtig zu bemessen.
Nicht nur Twains makelloses Timing wurde zu einer Königsdisziplin der Comedy.
In der Wechselwirkung von Realismus und Übertreibung erkannte er ein weiteres Prinzip: der Lacher braucht die Überraschung; die eigentliche Pointe ist die Über- oder Untertreibung. Eine der wichtigsten (und prophetischsten) Grundregeln lässt seinen satirischen, mitunter tagespolitischen Selbstanspruch erkennen: „Fange mit den Fakten an, dann kannst du sie nach Herzenslust verdrehen.“ Das macht Mark Twain wiederum zu einem gemeinsamen Vorläufer von Comedians und Kabarettisten. Hingebungsvoll tüftelte er an gesellschaftspolitischen Spitzfindigkeiten, die er auf der Bühne wie spontane Eingebungen erscheinen ließ. W. C. Fields gehörte zu denen, die von der Virtuosität solcher Vorträge gelernt, ihre Kniffe in der Kunst der Stand-Up Comedy verankert und das kabarettistische Element vernachlässigt haben. In den USA hat sich das ausdrücklich kritisch-politische Element später vor allem in musikalischer Form manifestiert, während sich Protestgesang und Kabarett im deutschen Sprachraum nebeneinander entwickelten.

Das Vaudeville

Das Vaudeville war die volkstümliche kulturelle Antwort auf die Industrialisierung und ihre rabiaten sozialen Verwerfungen im späten 19. Jahrhundert. „Kultur war zu jeder Zeit systemrelevant, wenn auch nicht im notfallmedizinischen Sinne!“ (C. O.)  In den USA wie in Europa begannen die Städte zu wachsen, und Einrichtungen wie die britischen „Music Halls“ boten preisgünstiges Entertainment für jene, die sich Oper, Ballett oder Schauspiel nicht leisten konnten oder denen möglicherweise auch der Sinn dafür gefehlt hat. Die Wichtigkeit der Unterhaltung für die hart arbeitende Bevölkerung wird bis heute unterschätzt, doch sie tobte sich im Vaudeville, einer Art kultureller Subkultur, eindrucksvoll aus.
Der Ursprung des Begriffs „Vaudeville“, eine Art Varietéprogramm, ist umstritten. Immer wieder ist zu lesen, es habe sich vom französischen „voix de ville“ („Stimme der Stadt“ oder auch „Volkes Stimme“) abgeleitet. Etwas akademischer kommt der Verweis auf die Stadt Vire im Nordwesten Frankreichs daher, im 15. Jahrhundert Namensgeberin für populären Spottgesang.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vicit“.

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