Wo bin ich überhaupt? Welches ist meine Sphäre?
Seine Augen öffneten sich wie an jedem Morgen. Einen Moment starrte er schlaftrunken über sich. Dann erinnerte er sich, und sein Herz schien stillzustehen.
Mit einem verwirrten Brummen richtete er sich zum Sitzen auf und schaute sich ungläubig um. Ein einziger Gedanke beherrschte sein Gehirn: Wo bin ich?
Richard Matheson, „The Shrinking Man“
Die allererste Frage, die sich jeder Mensch beantworten muss, ehe er am Mikrofon ein professionelles Wort spricht, ist: bin ich im ON oder bin ich im OFF? Die Art und Weise, wie ein Text zu sprechen ist, hängt davon ab. Egal, um was es inhaltlich geht.
Meistens sind wir im ON (beispielsweise als handelnde Figur in einem Hörspiel). Dann erübrigt sich die Frage in den meisten Fällen, denn auch unsere Alltagssprache findet im ON statt. Doch das ist nicht immer so.
Eine regelmäßige Kommentarstimme muss sich diese Frage bei umgekehrter Antwort aus dem gleichen Grunde nicht stellen, denn ihre Arbeitet findet mit der gleichen regelmäßigen Selbstverständlichkeit im OFF statt.
Meine Kollegin Marianne Bernhardt erwähnte einmal beiläufig, dass OFF ja das Schwerste sei. Natürlich hat sie recht, aber ich merkte, dass mir das bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht aufgefallen war. Warum nicht? Weil ich als lebenslanger Geschichtenliebhaber beides – ON und OFF – von Kind auf als gleichermaßen normal empfand. Für die meisten Menschen gilt: OFF-Sprache – darunter fallen zum Beispiel die Märchen, die man uns einst vorgelesen hat – ist eine Ausnahme vom Alltag, eine exotische Perspektive, die am Mikrofon erst einmal nachgebildet bzw. eingenommen werden muss.
„Nachgebildet“ trifft es nicht ganz, denn die Lösung für dieses Problem wurde ja längst gefunden. Spätestens seit dem Beginn der magnetischen Aufzeichnung gibt es gewisse Regeln der OFF-Sprache, die wir – einmal verinnerlicht – jederzeit anwenden können.
Das bringt uns zu einem ganz entscheidenden Punkt, der auch die Grenzen der Lektüre dieses Textes aufzeigt: wir müssen diese Art zu sprechen am existierenden Beispiel studiert haben, um sie zu beherrschen. Mehr noch: wir müssen die Medien kennen, für die wir arbeiten möchten, und nicht nur dem Namen nach. Ebenso wie es unmöglich ist, Laufen zu lernen, ohne dass es uns vorgemacht wird und wir physische Hilfestellung bekommen, wie wir ohne hörbare Vorbilder jemals sprechen gelernt hätten, ebenso ist auch das Sprechen am Mikrofon eine Kunst, die mit der Nachahmung beginnt.