Die Marvels wie sie wirklich waren: Remo (3)

Diese Serie mit Artikeln zur Geschichte der Marvel Comics aus dem Silver Age ist eine Übernahme aus dem Fanmagazin „Das sagte Nuff“ (2005-10). Ich bedanke mich herzlich für die Genehmigung, sie hier wiederzugeben.

Interview mit Remo (Reinhard Mordek)

Fortsetzung vom 18.11.2020

Daniel Wamsler: Einige der späten Hit Comics waren miserabel übersetzt (z.B. „Spinne“ Nr. 250), andere wiederum richtig gut. Wie erklären Sie sich den Qualitätsunterschied? Übersetzten sie auch selbst? Und wenn ja, welche Hefte stammten von ihnen und haben sie noch Unterlagen aus dieser Zeit?

Reinhard Mordek: Den Grund der Qualitätsunterschiede erwähnte ich ja bereits. Von Anfang an hatte ich viele Übersetzungen redigiert – ja umgeschrieben. Übersetzt habe ich dann an den Wochenenden und meine Frau Ursula war die erste, die die Comics gelettert hat – unter dem Pseudonym „Uschi Kedrom“. Auch in New York und in der Zeit danach habe ich als Freiberufler Comics übersetzt und gelettert. Es waren sehr viele. Leider hat die Hamburger Redaktion die Übersetzer damals nicht erwähnt. Unterlagen habe ich leider keine mehr.

Ursula “Uschi Kedrom” Mordek vor ihrem Lettering-Pult, New York 1974

Zumindest bei den Zweitstorys, zum Teil auch der Hauptgeschichten in den farbigen Hit Comics mussten eigene Farbfilme hergestellt werden, die oft genug im Widerspruch zum Text standen und dadurch eine unfreiwillige Komik erzeugten (Beispiel: Lady Dorma soll sich durch eine Pille in eine Luftatmerin verwandeln, ihr Teint ist aber durchweg rosafarben, wogegen im Text darauf angespielt wird, dass sie nun nicht mehr bläulich sei. In einem anderen Heft wurde für ein Panel Namors Widersacher in die Hosen des Atlantäers gesteckt, wodurch er sich an zwei Orten zugleich befindet. Auch die sonst grünen, weil radioaktiv geschaffenen Gegner des Hulk, wie Abomination oder The Leader, sind oftmals schweinchenrosa gefärbt). Ist Ihnen bekannt, wo diese Einfärbung stattfand, schließlich erschienen die Hefte in mehreren Ländern gleichzeitig?

Ich kann mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern. Da haben sie als Marvel-Analysten vermutlich mehr Ahnung. Meines Erachtens wurden alle europäischen Gemeinschaftsproduktionen bei Intergrafica in Mailand gedruckt. Da konnte es schon zu Farbabweichungen kommen, zumal die Farb-Lithos aus den USA oft fehlten.

Etwa zur selben Zeit wurden manche der Hulk-Abenteuer auf zwölf statt zehn Seiten ummontiert, einmal auch auf neun Seiten zusammengepresst. Wer war für diese Eingriffe verantwortlich?

Ich nehme an, die Amerikaner haben den  Europäern die Filme geschickt – und wir mussten nehmen, was kommt – bei dem Chaos im Marvel-Archiv… Koordinieren konnten wir damals nicht.

Wie haben sie die Zeit in den USA genau verbracht? Wie und wo haben sie gewohnt, wie sah ihr Alltag aus? Im Interview mit Martin Hilland („Die Sprechblase“ Nr. 174/175) sprachen sie auch von Connecticut, obwohl sie ja vermutlich die meiste Zeit in New York waren. Es muss ein sehr arbeitsreiches, aber auch sehr interessantes Jahr gewesen sein. Können sie uns ihre persönlichen Erinnerungen und Gefühle dieser Zeit schildern?

Wir hatten sofort das Glück, eine Einzimmerwohnung in dem einzigen Apartmenthaus in der 14th Street West zu bekommen, das einen Pförtner hatte. Ein Hüne von einem Schwarzen, an dem keiner unangemeldet vorbeikam. Eingerichtet hatten wir uns von einem Warehouse der Salvation Army, hauptsächlich mit Antiquitäten u.a. einem Riesenschreibtisch mit Lederbesatz. Besuch hatten wir immer, denn den Flug konnten Freunde und Verwandte bezahlen – die Unterkunft gab’s dann in dem für Europäer teuren New York bei uns umsonst. So habe ich das Empire State Building bestimmt sieben Mal besucht – natürlich an Wochenenden! In der Freiheitsstatue war ich nur ein Mal – danach habe ich gestreikt … An den Wochentagen war ich meist bei Transworld oder Marvel, um die deutsche Produktion zu ermöglichen. Stan Lee oder Roy Thomas fiel ich bestimmt auf den Wecker ob der vielen Fragen bezüglich fehlender Seiten (manche mussten auch nachgezeichnet werden). Ohne Langmut und Charme wäre da nichts gelaufen. Germany interessierte dort wenig. Nachts schrieb ich dann die Kolumnen oder andere Texte plus Übersetzungen. Einmal in der Woche oder wann immer Klaus Recht etwas benötigte – klingelte der Lufthansa-Kurier um 5.30 Uhr morgens, um meinen Luftfrachtbrief entgegenzunehmen (damals der schnellste Weg). Connecticut? Ja, da war die Chemiegraphie-Anstalt von Bill Server, in dem die Farblithos hergestellt wurden (auch die von Marvel). Bill war ein toller Typ, damals so um die 70, der aussah wie Maurice Chevalier mit seinem Strohhut! Es war ihm aber doch peinlich, mich, manchmal auch meine Frau Ursula, in seiner Stretch-Limousine mit Chauffeur abzuholen, denn unsere Privatadresse gehörte damals nicht gerade zur besseren Gegend… Meistens lud er uns zum Lunch in seinen Club ein, um Produktionen abzusprechen. Dort durfte er einige Dewars Whiskeys zu sich nehmen, was ihm seine Frau wegen seiner Herzprobleme strikt verboten hatte. Ich musste ihm dann stets versprechen, nicht zu petzen. Wir wohnten also in der Greenwich Village, für uns die Wohngegend – mit vielen Künstlern, tollen Kneipen und Jazzlokalen. Und es war nicht weit nach Chinatown. Ich war hin und weg von den Gerüchen und den exotischen Zutaten. Das war der Beginn meiner Liebe zum Kochen. Fortan gab’s nur chinesisches Essen bei uns.

Kurioserweise verwendete Williams die Hit Comics-Farben in der Schlussphase erneut, wodurch der Leser zum Teil sowohl Originalfarben als auch Dinge wie einen himmelbau-rosarot gefärbten Spider-Man zu Gesicht bekam. In den Jahren zuvor wurden stets neue Farben mit feinerem Raster angelegt. Wieviel haben sie davon mitbekommen?

Während meiner Zeit in New York habe ich die Schwarz-Weiß-Filme aus unüberschaubaren Stapeln der verschiedensten Comics herausgesucht – die Farblithos fehlten völlig. Aus diesem Grunde mussten wir diese dann vor Ort neu einfärben lassen. Da sich die Amerikaner aus Europa zurückzogen, übernahm Klaus Recht den Verlag. Dadurch entfiel auch die Produktion der Farbfilme. Ergo musste er auf altes Material zurückgreifen.

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