Der Komiker als Filmheld (12): „Joker“

In dieser Reihe werden Filme vorgestellt, deren Helden Komiker sind. Nach einer kurzen Inhaltsangabe werden die Filme hauptsächlich danach beurteilt, wie kundig und glaubhaft sie diesen Beruf abbilden. (Meistens entspricht dieser Aspekt aber auch der Gesamtnote.) Biopics werden an anderer Stelle behandelt.

„Joker“, USA 2019

Der verhärmte, abgemagerte Einzelgänger Arthur Fleck kämpft in einem verdreckten Moloch, der stellvertretend für die US-amerikanische Großstadt in der Trump-Ära steht, um Anerkennung und Selbstfindung. Er versucht sich als Stand-Up Comedian und verdient sein Geld als Miet-Clown in einer schäbigen Agentur. Doch auch das Gesicht unter der Maske, die er sich dafür täglich aufmalen muss, ist eine solche: der Mensch dahinter löst sich langsam auf, befeuert von Erniedrigungen, die durch seinen Job noch befördert werden. Als ihn eine davon zum mehrfachen Mörder macht, kommt er auf den Geschmack und findet zu seiner wahren Bestimmung …

Die Karikatur eines Berufsstandes – der Clown bzw. Komiker ist hier nur eine Chiffre für den Entertainer im weitesten Sinne – ist gewaltig überzogen, doch sie überzeugt: der Unterhalter prostituiert sich, und der Eskapismus, den er günstigstenfalls verkaufen kann, ist nicht länger dazu in der Lage, Trost oder gar Erbauung zu spenden. Vielleicht ist er am Ende sogar ein Treibstoff der immer rasender rotierenden Abwärtsspirale, in der unsere „Zivilisation“ versinkt. Hauptdarsteller Joaquin Phoenix lässt uns die Qualen seiner Selbstdeformation mitfühlen, ehe er uns und seine Peiniger in den Abgrund mitnimmt.

Ein derart garstiger, kompromissloser Film (zumal ein so kostspieliger) hätte es schon in früheren Zeiten schwer gehabt, Geldgeber zu finden. Noch schwieriger wäre es gewesen, das Geld wieder einzuspielen. „Joker“ ist ein sehenswerter Film, doch – machen wir uns nichts vor! – dass er überhaupt entstehen konnte, dass er ein Publikumserfolg wurde und sogar in Venedig den Goldenen Löwen abräumte (viele Kritiker freuten sich über einen „mutigen“ Film), hat einen ganz anderen Grund: die Geschichte wurde in ein florierendes Franchise eingebettet und zur Vorgeschichte des gleichnamigen „Batman“-Bösewichts erklärt (was für Logik und Ablauf der Handlung vollkommen überflüssig ist). Nur das ermöglichte es einem derart breiten Publikum, sich überhaupt darauf einzulassen.
Was dies für den Zustand unserer Kultur des medialen Geschichtenerzählens bedeutet, ist weitaus abscheulicher als das, was wir auf der Leinwand erleben, schmerzlicher als der treffende Kommentar zum Lach-Gewerbe und relevanter als die wenig überraschenden Bilder einer zum Mob herabgesunkenen Gesellschaft im Finale, um deren Nachahmung sich kurzzeitig gesorgt wurde.

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