Keimzelle ist auch Zelle – Familienglück als Ideal und Schreckgespenst (2)

Fortsetzung vom 2. April

Die Familie sei nicht komisch

Im letzten Jahrhundert war die Welt zumindest in der Kunst noch in Ordnung.
Entertainment-Formate, in denen Blut wirklich dicker als Wasser war und das Ideal der loyalen Mischpoke allzu rührselig geschildert wurde – wie die Produkte aus dem Hause Disney oder TV-Serien à la „Unsere kleine Farm“ oder „Die Waltons“ – wurden beiläufig verspottet. Doch der Erfolg gab ihnen recht. Sie trugen den Hohn mit Fassung, den die Gegenstücke des Mainstream über sie ausschütteten. Beider Botschaften ergänzten sich, wie es ja auch in der Realität glückliche und weniger glückliche Hausgemeinschaften gibt.
Zum letzten Mal wurden Verhöhnungen des Klischees in den 90er Jahren zu großen Erfolgen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: die Serien „Eine schrecklich nette Familie“ („Married… With Children“) – die abwechselnd ihren traurigen Helden und dessen Angehörige in kleinen Scharmützeln obsiegen ließ – und „The Simpsons“ – die von den Medien als „chaotisch“ und „dysfunktional“ beschrieben wurden, obwohl sie letztlich ein sehr gutes Team waren.

Um die Jahrtausendwende begann die Situation zu kippen. Während das positive Bild im Sozialkundeunterricht (wie ich annehme) beim Alten blieb, bekam die mediale Darstellung eine Schlagseite. Familienkritik wurde zunehmend als unanständig empfunden. Disney kaufte den übrigen Medienbetrieb in dieser Zeit fast vollständig auf, aber damit allein lässt sich die Verbissenheit nicht erklären, mit der heute allerorten das Hohelied auf das Dreieck Vater-Mutter-Kind  gesungen wird.
Es ist bezeichnend, dass der Darsteller des impotenten Schuhverkäufers Al Bundy aus „Eine schrecklich nette Familie“ in der Rolle des netten alten, wohlhabenden Schmerbauchs mit viel jüngerer Frau in der Serie „Modern Family“ wiederkehrte. Die Gags sind nur mehr kleine Spitzen, die so zuckersüß, spießig, putzig, korrekt, harmlos und gut gemeint sind, dass sie die Bezeichnung „Pointe“ nicht mehr verdienen.  (Doch mit dieser Einordnung stehe ich ziemlich allein, die Serie ist auch in meinem Freundeskreis ziemlich beliebt.)
In Talkshows, die nicht rein politisch ausgerichtet sind, wird es keiner der Teilnehmer wagen, wenigstens im Nebensatz seinen Familienstand klarzustellen.

Sogar unsere Comedians, denen als Nicht-Kritiker der Tagespolitik um so mehr Zeit für das Aufspießen gesellschaftlichen Unsinns bliebe, bewegen sich auf Zehenspitzen um diese Heilige Kuh herum, juxen wohl über Freundinnen, die zu lange im Bad brauchen und adaptieren den Ehegatten-Witz der Nachkriegszeit („in netter Form“, wie der vergleichsweise drastische Loriot es ausrückte), betonen aber in ihren „privaten“ Nebensätzen stets, glückliche Väter und liebende Gatten zu sein. Bereits im Eröffnungsmonolog wird klargestellt, wie süß der eigene Nachwuchs sei (und alle Ironie ruht inzwischen). Nicht wenige widmen ganze Bühnenprogramme, Bücher bzw. Bücher zum Bühnenprogramm ihrer geglückten Fortpflanzung. Auch Haustiere sind schon zum abendfüllenden Sujet geworden, aber das ist nur eine Beschwörung der gleichen Idylle mit anderen Mitteln.

Das wird ihnen gewiss nicht generell von redaktioneller Seite vorgeschrieben. Das ist nicht nötig, es geschieht aus vorauseilendem Gehorsam. Als Autor werde ich immer wieder mit dieser stillschweigenden Kultur konfrontiert, die sich im Verein mit den übrigen sprach- und denkpolizeilichen Trends der PC und des Genderings ausbreitet. Man hat mir noch nicht direkt verboten, gegen die Institution der Familie zu stänkern, aber immerhin wurde mir kürzlich das Wort „Viecherei“ aus einem Text gestrichen, der ein Haustier-Verarschungs-Video kommentierte. Begründung: „Hunde sind keine Viecher!“
Und mindestens einmal blieb ich mit dem Gefühl zurück, mich taktisch unklug verhalten zu haben, als ich gegen das (noch) ungeschriebene Gesetz verstieß.

Dies ist ein Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vincit“

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