betr.: 124. Geburtstag von Douglas Sirk (gestern)
Cadwiller Olden war der Meinung, so etwas wie Publikumsgeschmack gäbe es gar nicht. Es gäbe nur Publikum mit oder ohne Vergleichsmöglichkeiten.
Geschmacksdiskussionen gelten als müßig, doch sie stellen einen eheblichen Teil des Vergnügens dar, wenn man sich mit Kultur beschäftigt. Wer Filme liebt und gemeinsam anschaut, möchte sich auch darüber austauschen. Wer nach halbwegs objektiven Gesichtspunkten Kritik übt, auf den geht meistens das Totschlagargument nieder, man müsse kommerziellen Produkten das eine oder andere nachsehen. Sie seien eben für die Masse gemacht (der dann aber immer niemand so recht angehören will).
Worauf also können wir uns einigen?
„Profi“ und „Profit“ fängt beides mit „Profi“ an.
Zwar gibt es inzwischen mit dem „Arthaus-Kino“ eine Strömung, die sich offiziell vom Kommerz zu distanzieren sucht, doch erstens müssen auch diese Produkte irgendwie finanziert und vertrieben werden / wollen auch die Macher dieser Filme von irgendjemandem wahrgenommen werden. Für die längste Zeit der Filmgeschichte gilt zweitens, dass auch Filme, die wir heute als „wertvoll“ oder „Klassiker“ einstufen, zunächst einmal auf nichts als Profit auswaren. Und wer will ihnen das verdenken? So ein Film ist schließlich eine kostspielige Sache und wird (hoffentlich) von Profis gemacht.
Wer solche (Aus-)Diskussionen wirklich ernst nimmt, dem könnte ein Statement von Douglas Sirk helfen, dem Großmeister des Melodrams in Hollywoods Technicolor-Ära. Wie jeden Künstler störten auch ihn die Restriktionen des Studiosystems und die Arroganz seiner Bosse, und doch gestand er denen immerhin zu, die industrielle Produktion sehenswerter Filme im Griff zu haben. Er respektierte sie, ohne sie sonderlich mögen zu müssen, denn er war mit ihnen einig, dass das handwerkliche Gelingen seiner Arbeit und ihr kommerzieller Erfolg keinen Widerspruch bedeuteten.
Im Rückblick sah Sirk seine Produktionsbedingungen in Hollywood, wo er Filme für ein Massenpublikum herzustellen hatte (die heute nichtsdestoweniger als Kunst angesehen werden), nicht weit entfernt von der europäischen Theatertradition. Der überaus populäre Shakespeare war unter derartigen Zwängen sehr erfolgreich gewesen: „Shakespeare schrieb für das Box Office, beugte sich den Wünschen seiner Mitproduzenten und denen des Publikums, beugte sich schließlich dem schlimmsten aller B-Produzenten: der Zeitnot, die ihn zwang, seine Stücke hastig zu schreiben und abzuliefern. Aber allem entglitt sein Genie ungehindert und wenig beschädigt in die Unsterblichkeit. Und selbst diese kleinen Beschädigungen machen seine Stücke nicht ärmer sondern zugänglicher, offener. Es sind wirklich nur die einfachen Dinge, die überdauern. Das Verfeinerte und ästhetische ist bedroht von der Zeit. Shakespeare etwa ist dort am besten, wo er am volkstümlichsten ist. Es ist nicht der Schöpfer der hochgestochenen Epen und Gedichte, an den man bei seinem Namen denkt, sondern der Autor der großen populären Komödien und Melodramen. Oder um Erwin Panofsky anzuführen, der sagt, es stimme, dass kommerzielle Kunst leicht zur Prostitution gerate. Ebenso wahr sei aber auch, dass nicht-volkstümlicher Kunst die Gefahr von Altjüngferlichkeit drohe. Dieser Entschluss zum Populären zwinkert uns bei Shakespeare schon aus seinen Stücktiteln zu. ‚Viel Lärm um nichts‘ – nichts Bedeutendes, nichts Großes. ‚Wie es euch gefällt‘ – dieses Stück ist für euch, fürs Publikum.“
Auch die Vorliebe für einen glücklichen Ausgang – selbst wenn dieser nicht der Logik folgt, sondern einem Deus ex machina geschuldet ist – verweist in diese Richtung: „Im Alten Athen war das Publikum offenbar genauso unbekümmert wie das amerikanische, ein Publikum, das gar nicht wissen möchte, dass auch ihm Scheitern widerfahren könnte. Es muss immer einen Ausweg geben. Also gehört ein Happy End angeklebt.“
Das ist schon sehr kommerziell.