Ungeschriebene Gesetze …

… des medialen Erzählens (4/4): Hörspiel und Synchron

Fortsetzung vom 4. Juli 2021

Gedränge im Off


Wie gefährlich die Versammlung mehrerer Stimmen in der Raumlosigkeit der Erzähl-Ebene ist, beweist auch ein gut gemeintes Beispiel aus der Geschichte der deutschen Synchronisation
„The Hallelujah Trail“ (Regie: John Sturges) entstand 1965, also in der Schlussphase des amerikanischen Edelwestern. Die Dekonstruktion, die die meisten dieser „Spätwestern“ mit gebrochenen Helden erreichen (etwa mit einem alten, kranken John Wayne), erledigt dieser Film indem er seine Geschichte aus dem Off kommentiert.
Kurz nach Ende des Sezessionskriegs will eine Gruppe von Suffragetten verhindern, dass ein Treck mit Hochprozentigem nach Denver gelangt. Ein würdiger Erzähler verkündet die historischen Hintergründe mit so heiligem Ernst, dass sie zum komödiantischen Treiben auf der Szene einen hübschen Kontrast bilden.
In der deutschen Bearbeitung „Vierzig Wagen westwärts“ besetzte man diesen Part stilecht mit Wilhelm Borchert. Doch man traute dem Publikum nicht zu, mit dem verbleibenden Pathos umzugehen. So stellte man Borchert noch Hans Clarin zur Seite, der ihn in kurzen Abständen mit ulkig gemeinten Kommentaren unterbricht, die schon in der Wirtschaftswunder-Zeit reichlich bemüht gewirkt haben dürften. Zu allem Übel schickt Clarin oftmals noch ein kurzes Gelächter oder ein „Naja“ vorweg. Dabei ist Borcherts (bzw. Drehbuchautor John Gays) Off-Text auch in der ursprünglichen Form von angemessener Ironie.

Unermesslich weit dehnte sich das unberührte Land. Das Gestein war aus der gärenden Finsternis der Erde ausgestoßen und von der Natur geformt worden, eine Hochebene mit roten Sandsteinfelsen: der Wilde Westen.
Hähähähä! Wild ist gar kein Ausdruck! Ich würde sagen, halbstark!
Eine Prärie, die sich endlos dahinzog! Das Land der Pioniere!
Mhm! Und der Geschäftemacher, würde ich sagen!
Wie viele Träume lagen in diesem Land der Verheißung begraben? Träume, die die grausame Natur oder der Pfeil eines Indianers zunichte gemacht hatte.
Hähä! Oder die Ehefrau! Sowas soll’s ja auch in Amerika geben!
Jede Seite der Weltgeschichte hat ihren Anfang. Der unsere führt uns in das Jahr 1867.
Kinder, Kinder! Das war‘n noch Zeiten!
Eine Armee, die im Bürgerkrieg gekämpft und sich in den Feldzügen gegen die Indianer bewährt hatte, war jetzt im einförmigen Patrouillendienst eingesetzt. Mit ihren Gedanken waren die Männer zu Hause.
Na, ich weiß nicht … immer noch lieber unterm Korporal als unterm Pantoffel …
Die Indianer hatten sich in ihre Reservate zurückgezogen, nachdem ihnen die Weißen zugesichert hatten, dass sie nur ihr Bestes im Sinn hätten.
Ja, denkste! Das Beste wollten sie ihnen vorenthalten: den Whiskey!
Dafür wurden den Indianern Dokumente ausgehändigt, die ihnen bescheinigten, dass sie gute Bürger seien, die unter dem Schutz des Staates stünden.
… und deswegen nichts trinken dürfen!
Es wurden Geschenke verteilt: Glasperlen, Kleidungsstücke, Munition, überzählige Gewehre für Jagdzwecke …
Naja, irgendwie musste man die Jungs ja beschäftigen, nicht?
Waffen waren etwas ganz besonders Reizvolles für die Indianer.
Ähähähä! Für wen nicht? … Leider …
In diesem Jahr färbten sich die Blätter früh.
Na herrlich! Ist genau das Richtige für’n Farbfilm!
Alle Anzeichen sprachen für einen langen, kalten Winter. In höheren Lagen hielt sich der Nachfrost schon jetzt bis zum Mittag. Die Büffel fraßen gierig, …
… wie auf ’ner Party …
… die Bieber sammelten besonders eifrig Wintervorräte …
Aktion Eichhörnchen!
… und die Pferde und Hunde bekamen ein so dickes Fell, wie …
… Politiker …
… nie zuvor. Auch in der aufblühenden Bergwerksstadt Denver konnte man die ersten Anzeichen dafür spüren. Die meisten Geschichtsschreiber sind sich darüber einig, dass die Ereignisse, die zur „Schlacht an den Whiskey-Bergen“ und zu der nachfolgenden Katastrophe im Treibsand führten, in dieser Versammlung der Bergleute ihren Ursprung hatten.
Tststs! Immer diese Fußgänger!
Solche Versammlungen wurden zwar öfter abgehalten, aber diese war von düsteren Vorahnungen überschattet.
Es geht doch nicht etwa um Lohnerhöhung? Tse, jetzt bin ich aber gespannt!

Die drolligen Einwürfe tragen alle Anzeichen einer Entscheidung in letzter Minute. Insgesamt haben wir es hier mit dem hochklassigen Synchron-Handwerk zu tun, das seinerzeit üblich war. Die Chorgesänge sowohl in der Filmmusik von Elmer Bernstein als auch in den Demo-Szenen der Frauenrechtlerinnen wurden mit übersetzt – was aus heutiger Sicht wiederum ein zweischneidiges Vergnügen darstellt.

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