Eine Art Jazz

betr.: 62. Geburtstag des Films und Soundtracks „North By Northwest“

Als der frisch ausgewanderte Bernard Herrmann 1966 in London sein Hitchcock-Album für die DECCA einspielte, war „North By Northwest“ mit der geringsten Spielzeit vertreten. Das kommt nicht von ungefähr. „North By Northwest“ ist von Herrmanns großen Soundtracks der kleinste. Auf dem Album „The Great Movie Thrillers“ hören wir nur die Ouvertüre, während die übrigen Filme mit Suiten bzw. mit eigens erarbeiteten Concerti gewürdigt werden.


Die Ouvertüre beginnt mit dem Brüllen des Löwen im MGM-Logo, begleitet die grafischen Finessen von Saul Bass und illustriert schließlich das New Yorker Menschengewühl während der Stoßzeit. – Erste Seite der Partitur.

Doch bereits diese Ouvertüre hat es in sich. Herrmann beschrieb sie als „kaleidoscopic orchestral fandango designed to kick off the exciting rout wich follows“.  Eine zweitaktige Tonfolge (eigentlich nur ein zweimal gespielter Takt) die wie ein Hohngelächter klingt, wird durch unzählige orchestratorische Variationen getrieben. Darunter liegt der südamerikanische Fandango-Rhythmus, ein Dreivierteltakt, der sich mit einem Sechsachteltakt abwechselt. Selbstverständlich kommt zu keiner Zeit Latino-Feeling auf, ebensowenig die von Hitchcock erwogene Gershwin-Atmosphäre, die zu den wimmelnden Großstadtbildern gepasst hätte. Diese Titelmusik wird fast identisch noch einmal wiederholt, als die Entführer den von Cary Grant gespielten Helden unter Alkohol setzen, damit er sich am Steuer eines gestohlenen Wagens den Hals brechen möge.

Die Musik zu „North By Northwest“ genießt die Irritation und Ratlosigkeit des Helden. Der Zuschauer teilt sie, bevor sich der für den „Suspense“ so wichtige Wissensvorsprung einstellt. – Ausriss aus „Kidnapped“ („The Abduction Of George Kaplan“)

Die Musik illustriert den beständigen Versuch aller Beteiligten, ihn zum Narren zu halten. Der Held wird unentwegt verarscht: von den Gangstern, die ihn fälschlich für einen Spion halten, ebenso wie von seiner Mutter, die ihn einfach nicht ernstnimmt. Selbst die Frau, die sich im Laufe des Abenteuers in ihn verlieben wird, kann sich lange nicht leisten, ihm reinen Wein einzuschenken. Diese Doppelbödigkeit ist in der Partitur allgegenwärtig.

Mehr als 60 Jahre später sind sowohl der Regisseur als auch sein Komponist von der Popkultur gehörig gefeiert und reproduziert worden.
Herrmanns Filmmusik – auch die vor und nach Hitchcock – wurde erschöpflich auf CD vorgelegt. Von „North By Northwest“ gibt es die restaurierten Originalbänder und zwei Neueinspielungen.
Als reines Hörerlebnis entfaltet – bzw. bewahrt – die vollständige Musik ihren enormen Unterhaltungswert. Sie ist ebenso verschmitzt wie der Protagonist, der größte aller romantischen Charakterkomiker des alten Hollywood. „North By Northwest“ ist eine Eulenspiegel-Musik, die sich als eigenständige Tondichtung erweist.

Der Titel dieses Cues bezieht sich auf Mutters Rat, als sich der Held gerichtlich gegen die Intrige wehren will, die er noch längst nicht völlig überblickt: „Bezahl die zwei Dollar!“. Die Titel-Tonfolge wird variiert.

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